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Beschreibung
Einleitung: Antiquierte Antike? Vom Nutzen der Alten Geschichte"Antiquierte Antike?": Mit dieser rhetorischen Frage überschrieb 1971 der Tübinger Altphilologe und Rhetorikprofessor Walter Jens seine Rede zur 350-Jahr-Feier des Theodor-Heuss-Gymnasiums in Heilbronn, um mit dem Untertitel zugleich die Antwort zu geben: "Perspektiven eines neuen Humanismus". Autonomie bewahren zu können, einen geistigen Raum zu erhalten, in dem kritisches Überschreiten, Opposition und Absage sich entfalten könne, all dies sollte die Beschäftigung mit der Antike ermöglichen (Jens 1971, 57). Er spielte dabei mit der Doppelbedeutung von Antike als Wert- und Epochenbegriff. Antike kommt vom lateinischen antiquus, anticus ("alt", "ehrwürdig", "überkommen") und wurde erst im 17. Jh. zum Epochenbegriff erhoben (Settis 2005). Indem Jens die Erziehung zur Kritikfähigkeit zur Leitlinie seines gerade nicht antiquierten Antikenverständnisses machte, bot er der kritischen Generation der "1968er" ein ihr zeitgemäßes Antikenbild an, das dem Glauben an die Wandelbarkeit von Normen und Werten Rechnung trug. Damit setzte er sich von seinem älteren Kollegen, dem Tübinger Gräzisten Wolfgang Schadewaldt, ab, einem Verfechter des sogenannten Dritten Humanismus der 1930er Jahre. Zeitlose Geltung von Maß, Ordnung und Schönheit, vor allem aber der Vorrang eines abendländischen Menschenbildes gehörten zum Credo der Vertreter des Dritten Humanismus (Hölscher 1989, 4-6). Sie sahen sich in einer jahrhundertealten Tradition, die bis in die Renaissance und in das Zeitalter der Aufklärung [...] ins 19. Jh. hinein dienten antike Werke als ein allgemeines Verständigungsmittel über politische und moralische Wertvorstellungen. Als es beispielsweise im 18. Jh. in Nordamerika darum ging, sich für eine bundesstaatliche oder eine zentralistische Ordnung zu entscheiden, bezogen sich die Gründungsväter der Vereinigten Staaten Amerikas in ihren politischen Reden auf antike Beispiele. Die Antiföderalisten bewunderten die antiken Bürgerheere und verwarfen den Vorschlag der Federalists, eine dauerhafte Armee zu unterhalten, wie dies Römer und Perser getan hätten. Sie hielten dies angesichts des antiken Vorbildes der Spartaner für überflüssig. Diese hätten einst mit nur wenigen Kriegern ihr Land gegen eine Million persischer Sklaven verteidigt (Richard 1994, 79). Auf historische Richtigkeit kam es dabei nicht an. Denn die Klasse der Spartiaten, von der hier die Rede ist, bildete eine gut trainierte Kriegerkaste; sie waren quasi-professionelle Krieger, nicht Bürger, die im zivilen Leben einem anderen Beruf als dem des Soldaten nachgingen. Geschichte diente hier als Schule der politischen Moral. Aus den Schriften antiker Historiker bezog man die Vorbilder für politische Tugenden und Regierungsmodelle. George Washington sah sich selbst als neuer Cato Uticenis, der einst die römische Republik verteidigt hatte (Richard 1994, 58); französische Revolutionäre bezogen sich auf Cicero, dessen Redegewandtheit sie sich zum Vorbild nahmen, und riefen zum Sturz der Monarchie auf (Dahlheim 62002, [...] Glaube, Aussagen antiker Autoren seien ohne Berücksichtigung des zeitlichen Abstands und des gesellschaftlichen Umfelds ihrer Entstehung ungebrochen verstehbar, wurde erst infrage gestellt, als die Beschäftigung mit der Antike verwissenschaftlicht wurde. War die Antike bis ins 18. Jh. Teil universalgeschichtlicher Betrachtungen, so bildeten sich im Laufe des 19. Jhs. unter dem Dach der "Altertumswissenschaft" einzelne Fachdisziplinen wie Klassische Philologie, Archäologie und Alte Geschichte mit jeweils eigenen Methoden und Fragestellungen heraus. Mit ihr ging eine quellenkritische Hinterfragung der Glaubwürdigkeit antiker Autoren einher, die einer Reflexion des historischen Kontextes, in dem antike Werke standen, und damit einer Relativierung der in ihnen fassbaren Wertvorstellungen Vorschub leisteten. Manche antike Ideale entpuppten sich bei näherer Betrachtung als Missverständnisse.
Einleitung: Antiquierte Antike? Vom Nutzen der Alten Geschichte"Antiquierte Antike?": Mit dieser rhetorischen Frage überschrieb 1971 der Tübinger Altphilologe und Rhetorikprofessor Walter Jens seine Rede zur 350-Jahr-Feier des Theodor-Heuss-Gymnasiums in Heilbronn, um mit dem Untertitel zugleich die Antwort zu geben: "Perspektiven eines neuen Humanismus". Autonomie bewahren zu können, einen geistigen Raum zu erhalten, in dem kritisches Überschreiten, Opposition und Absage sich entfalten könne, all dies sollte die Beschäftigung mit der Antike ermöglichen (Jens 1971, 57). Er spielte dabei mit der Doppelbedeutung von Antike als Wert- und Epochenbegriff. Antike kommt vom lateinischen antiquus, anticus ("alt", "ehrwürdig", "überkommen") und wurde erst im 17. Jh. zum Epochenbegriff erhoben (Settis 2005). Indem Jens die Erziehung zur Kritikfähigkeit zur Leitlinie seines gerade nicht antiquierten Antikenverständnisses machte, bot er der kritischen Generation der "1968er" ein ihr zeitgemäßes Antikenbild an, das dem Glauben an die Wandelbarkeit von Normen und Werten Rechnung trug. Damit setzte er sich von seinem älteren Kollegen, dem Tübinger Gräzisten Wolfgang Schadewaldt, ab, einem Verfechter des sogenannten Dritten Humanismus der 1930er Jahre. Zeitlose Geltung von Maß, Ordnung und Schönheit, vor allem aber der Vorrang eines abendländischen Menschenbildes gehörten zum Credo der Vertreter des Dritten Humanismus (Hölscher 1989, 4-6). Sie sahen sich in einer jahrhundertealten Tradition, die bis in die Renaissance und in das Zeitalter der Aufklärung [...] ins 19. Jh. hinein dienten antike Werke als ein allgemeines Verständigungsmittel über politische und moralische Wertvorstellungen. Als es beispielsweise im 18. Jh. in Nordamerika darum ging, sich für eine bundesstaatliche oder eine zentralistische Ordnung zu entscheiden, bezogen sich die Gründungsväter der Vereinigten Staaten Amerikas in ihren politischen Reden auf antike Beispiele. Die Antiföderalisten bewunderten die antiken Bürgerheere und verwarfen den Vorschlag der Federalists, eine dauerhafte Armee zu unterhalten, wie dies Römer und Perser getan hätten. Sie hielten dies angesichts des antiken Vorbildes der Spartaner für überflüssig. Diese hätten einst mit nur wenigen Kriegern ihr Land gegen eine Million persischer Sklaven verteidigt (Richard 1994, 79). Auf historische Richtigkeit kam es dabei nicht an. Denn die Klasse der Spartiaten, von der hier die Rede ist, bildete eine gut trainierte Kriegerkaste; sie waren quasi-professionelle Krieger, nicht Bürger, die im zivilen Leben einem anderen Beruf als dem des Soldaten nachgingen. Geschichte diente hier als Schule der politischen Moral. Aus den Schriften antiker Historiker bezog man die Vorbilder für politische Tugenden und Regierungsmodelle. George Washington sah sich selbst als neuer Cato Uticenis, der einst die römische Republik verteidigt hatte (Richard 1994, 58); französische Revolutionäre bezogen sich auf Cicero, dessen Redegewandtheit sie sich zum Vorbild nahmen, und riefen zum Sturz der Monarchie auf (Dahlheim 62002, [...] Glaube, Aussagen antiker Autoren seien ohne Berücksichtigung des zeitlichen Abstands und des gesellschaftlichen Umfelds ihrer Entstehung ungebrochen verstehbar, wurde erst infrage gestellt, als die Beschäftigung mit der Antike verwissenschaftlicht wurde. War die Antike bis ins 18. Jh. Teil universalgeschichtlicher Betrachtungen, so bildeten sich im Laufe des 19. Jhs. unter dem Dach der "Altertumswissenschaft" einzelne Fachdisziplinen wie Klassische Philologie, Archäologie und Alte Geschichte mit jeweils eigenen Methoden und Fragestellungen heraus. Mit ihr ging eine quellenkritische Hinterfragung der Glaubwürdigkeit antiker Autoren einher, die einer Reflexion des historischen Kontextes, in dem antike Werke standen, und damit einer Relativierung der in ihnen fassbaren Wertvorstellungen Vorschub leisteten. Manche antike Ideale entpuppten sich bei näherer Betrachtung als Missverständnisse.
Details
Erscheinungsjahr: | 2017 |
---|---|
Genre: | Geisteswissenschaften, Geschichte, Kunst, Musik |
Jahrhundert: | Altertum |
Rubrik: | Geisteswissenschaften |
Medium: | Taschenbuch |
Inhalt: | 315 S. |
ISBN-13: | 9783593507927 |
ISBN-10: | 3593507927 |
Sprache: | Deutsch |
Einband: | Paperback |
Autor: | Wagner-Hasel, Beate |
Auflage: | 1/2017 |
campus verlag: | Campus Verlag |
Verantwortliche Person für die EU: | Campus Verlag GmbH, Werderstr. 10, D-69469 Weinheim, info@campus.de |
Maße: | 206 x 134 x 22 mm |
Von/Mit: | Beate Wagner-Hasel |
Erscheinungsdatum: | 09.11.2017 |
Gewicht: | 0,406 kg |
Details
Erscheinungsjahr: | 2017 |
---|---|
Genre: | Geisteswissenschaften, Geschichte, Kunst, Musik |
Jahrhundert: | Altertum |
Rubrik: | Geisteswissenschaften |
Medium: | Taschenbuch |
Inhalt: | 315 S. |
ISBN-13: | 9783593507927 |
ISBN-10: | 3593507927 |
Sprache: | Deutsch |
Einband: | Paperback |
Autor: | Wagner-Hasel, Beate |
Auflage: | 1/2017 |
campus verlag: | Campus Verlag |
Verantwortliche Person für die EU: | Campus Verlag GmbH, Werderstr. 10, D-69469 Weinheim, info@campus.de |
Maße: | 206 x 134 x 22 mm |
Von/Mit: | Beate Wagner-Hasel |
Erscheinungsdatum: | 09.11.2017 |
Gewicht: | 0,406 kg |
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