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Diese Fragen stellen sich auch deshalb drängend, weil mit der vergleichenden Genozidforschung in den letzten Jahren eine neue Disziplin entstanden ist. Noch arbeiten Genozidforschung und Holocaustforschung nebeneinanderher und tauschen sich kaum aus. Wie fruchtbar aber ein Brückenschlag sein kann, hat eine Konferenz gezeigt, die das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und das Fritz Bauer Institut unter dem Titel "Der Holocaust und die Geschichte der Völkermorde im 20. Jahrhundert" im Oktober 2011 in Wien gemeinsam veranstaltet haben. Daraus ist der vorliegende Band hervorgegangen, dessen Ziel es ist, über den historischen Ort des Holocaust in der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts (insbesondere seiner ersten Hälfte) zu reflektieren. Die Autorinnen und Autoren fragen nach den Bezügen zu anderen Massenverbrechen und diskutieren im Lichte der Ansätze und Erträge der komparativ arbeitenden Genozidforschung die Stärken, aber auch die Grenzen des Vergleichs.
Im Folgenden wird erstens die Entwicklung der Genozidforschung skizziert. Zweitens geht es um die Rolle, die die Zeitgeschichtsforschung zum Holocaust darin einnimmt, und um konfligierende Interessen, wie sie beispielsweise in der Diskussion über die Einzigartigkeit des Judenmords zutage treten. Daran schließen sich drittens Überlegungen zu den Perspektiven einer Annäherung der beiden Disziplinen und einem gemeinsamen Forschungsprogramm an.
Verbrechen als "Weltgefahr"
Im Jahr 1927 stellten Juristen aus aller Welt eine Liste sogenannter internationaler Verbrechen zusammen. Sie wollten ein völkerrechtliches Strafrecht schaffen, um Untaten zu ahnden, die "Anschläge auf die Interessen der Menschheit" waren. Dazu zählten sie den Handel mit Frauen, Sklaven und Kindern ebenso wie Piraterie, Falschmünzerei, Pornographie und Geschäfte mit Drogen; bald kamen auch Anschläge auf internationale Verkehrseinrichtungen, die Verbreitung von Epidemien und Kriegshetze hinzu. Als 1933 in Madrid der fünfte internationale Kongress zur Vereinheitlichung des Strafrechts tagte, forderte ein junger Staatsanwalt aus Warschau, die Liste der "delicta juris gentium" um zwei Straftaten zu erweitern: zum einen um "Akte der Barbarei", worunter er Pogrome, Massaker, die Zerstörung der wirtschaftlichen Existenz wie überhaupt alles verstand, was auf die Unterdrückung oder Vernichtung der Angehörigen einer nationalen, religiösen oder "rassischen" Gruppe abzielte. Zum anderen wollte er "Akte des Vandalismus" hinzufügen und meinte damit die Zerstörung des kulturellen Erbes einer Gruppe, ihrer Kunstwerke und geistigen Schöpfungen. Seine Begründung lautete: Alle "gegen Gemeinschaften gerichteten Aktionen" seien eine "dauernde Bedrohung der Menschheit", kurz: eine "Weltgefahr".
Der junge Staatsanwalt war Raphael Lemkin, Sohn assimilierter Juden aus Ostpolen; der 33-Jährige veröffentlichte seine Ausführungen im November 1933 im Internationalen Anwaltsblatt. Lemkin setzte sich schon früh dafür ein, eine Lücke im internationalen Recht zu schließen und eine völkerrechtliche Konvention zu schaffen, die die Zerstörung ethnischer, konfessioneller und kultureller Gruppen als Verbrechen ahndet. Sein Engagement dafür stieg noch, als der Zweite Weltkrieg die Lage verschlimmerte. Nachdem er 1939 aus Polen über Lettland zunächst nach Schweden und 1941 schließlich in die USA geflohen war, forderte er erneut ein i
Diese Fragen stellen sich auch deshalb drängend, weil mit der vergleichenden Genozidforschung in den letzten Jahren eine neue Disziplin entstanden ist. Noch arbeiten Genozidforschung und Holocaustforschung nebeneinanderher und tauschen sich kaum aus. Wie fruchtbar aber ein Brückenschlag sein kann, hat eine Konferenz gezeigt, die das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und das Fritz Bauer Institut unter dem Titel "Der Holocaust und die Geschichte der Völkermorde im 20. Jahrhundert" im Oktober 2011 in Wien gemeinsam veranstaltet haben. Daraus ist der vorliegende Band hervorgegangen, dessen Ziel es ist, über den historischen Ort des Holocaust in der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts (insbesondere seiner ersten Hälfte) zu reflektieren. Die Autorinnen und Autoren fragen nach den Bezügen zu anderen Massenverbrechen und diskutieren im Lichte der Ansätze und Erträge der komparativ arbeitenden Genozidforschung die Stärken, aber auch die Grenzen des Vergleichs.
Im Folgenden wird erstens die Entwicklung der Genozidforschung skizziert. Zweitens geht es um die Rolle, die die Zeitgeschichtsforschung zum Holocaust darin einnimmt, und um konfligierende Interessen, wie sie beispielsweise in der Diskussion über die Einzigartigkeit des Judenmords zutage treten. Daran schließen sich drittens Überlegungen zu den Perspektiven einer Annäherung der beiden Disziplinen und einem gemeinsamen Forschungsprogramm an.
Verbrechen als "Weltgefahr"
Im Jahr 1927 stellten Juristen aus aller Welt eine Liste sogenannter internationaler Verbrechen zusammen. Sie wollten ein völkerrechtliches Strafrecht schaffen, um Untaten zu ahnden, die "Anschläge auf die Interessen der Menschheit" waren. Dazu zählten sie den Handel mit Frauen, Sklaven und Kindern ebenso wie Piraterie, Falschmünzerei, Pornographie und Geschäfte mit Drogen; bald kamen auch Anschläge auf internationale Verkehrseinrichtungen, die Verbreitung von Epidemien und Kriegshetze hinzu. Als 1933 in Madrid der fünfte internationale Kongress zur Vereinheitlichung des Strafrechts tagte, forderte ein junger Staatsanwalt aus Warschau, die Liste der "delicta juris gentium" um zwei Straftaten zu erweitern: zum einen um "Akte der Barbarei", worunter er Pogrome, Massaker, die Zerstörung der wirtschaftlichen Existenz wie überhaupt alles verstand, was auf die Unterdrückung oder Vernichtung der Angehörigen einer nationalen, religiösen oder "rassischen" Gruppe abzielte. Zum anderen wollte er "Akte des Vandalismus" hinzufügen und meinte damit die Zerstörung des kulturellen Erbes einer Gruppe, ihrer Kunstwerke und geistigen Schöpfungen. Seine Begründung lautete: Alle "gegen Gemeinschaften gerichteten Aktionen" seien eine "dauernde Bedrohung der Menschheit", kurz: eine "Weltgefahr".
Der junge Staatsanwalt war Raphael Lemkin, Sohn assimilierter Juden aus Ostpolen; der 33-Jährige veröffentlichte seine Ausführungen im November 1933 im Internationalen Anwaltsblatt. Lemkin setzte sich schon früh dafür ein, eine Lücke im internationalen Recht zu schließen und eine völkerrechtliche Konvention zu schaffen, die die Zerstörung ethnischer, konfessioneller und kultureller Gruppen als Verbrechen ahndet. Sein Engagement dafür stieg noch, als der Zweite Weltkrieg die Lage verschlimmerte. Nachdem er 1939 aus Polen über Lettland zunächst nach Schweden und 1941 schließlich in die USA geflohen war, forderte er erneut ein i
Erscheinungsjahr: | 2012 |
---|---|
Genre: | Geschichte |
Jahrhundert: | 20. Jahrhundert |
Rubrik: | Geisteswissenschaften |
Medium: | Taschenbuch |
Titelzusatz: | Die Reichweite des Vergleichs, Jahrbuch 2012 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust |
Inhalt: | 248 S. |
ISBN-13: | 9783593397481 |
ISBN-10: | 359339748X |
Sprache: | Deutsch |
Einband: | Paperback |
Herausgeber: | Fritz Bauer Institut/Sybille Steinbacher |
Auflage: | 1/2012 |
campus verlag: | Campus Verlag |
Maße: | 213 x 143 x 18 mm |
Erscheinungsdatum: | 08.10.2012 |
Gewicht: | 0,317 kg |
Erscheinungsjahr: | 2012 |
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Genre: | Geschichte |
Jahrhundert: | 20. Jahrhundert |
Rubrik: | Geisteswissenschaften |
Medium: | Taschenbuch |
Titelzusatz: | Die Reichweite des Vergleichs, Jahrbuch 2012 zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust |
Inhalt: | 248 S. |
ISBN-13: | 9783593397481 |
ISBN-10: | 359339748X |
Sprache: | Deutsch |
Einband: | Paperback |
Herausgeber: | Fritz Bauer Institut/Sybille Steinbacher |
Auflage: | 1/2012 |
campus verlag: | Campus Verlag |
Maße: | 213 x 143 x 18 mm |
Erscheinungsdatum: | 08.10.2012 |
Gewicht: | 0,317 kg |