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Klio dichtet nicht
Studien zur Wissenschaftsgeschichte der Althistorie, Campus Historische Studien 69
Taschenbuch von Wilfried Nippel
Sprache: Deutsch

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Beschreibung
Einleitung

In den 1970er Jahren sah sich die Geschichtswissenschaft durch die Thesen des amerikanischen Literaturhistorikers Hayden White herausgefordert, der Geschichtsschreibung als eine Form der Narration verstand, die sich auf eine begrenzte Zahl rhetorischer Muster reduzieren lasse. In Deutschland fand die Debatte über Whites Thesen mit Zeitverzögerung statt. Seine Sammlung theoretischer Aufsätze, Tropics of Discourse (1978), war 1986 in deutscher Fassung mit dem Haupttitel, Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen, erschienen; seine Monographie Metahistory von 1973, in der er seine Thesen auf große Historiker und Geschichtsphilosophen des 19. Jahrhunderts angewendet hatte, erschien in deutscher Übersetzung erst 1991.

Obwohl niemand bestritt, dass Historiographie, jedenfalls soweit Geschichte erzählt wird, auch eine Literaturgattung ist und mit den gewählten Erzählstrategien auch bestimmte Interpretationen vermittelt werden, war man sich doch schnell einig, dass es das Ende von Geschichtswissenschaft wäre, wenn der Anspruch aufgegeben würde, dass es um eine auf Quellen gegründete, intersubjektiv nachvollziehbare Rekonstruktion von Vergangenheit gehen müsse. Frappierend war, dass sich White, da jeglicher historischer Forschungspraxis abhold, als unfähig erwiesen hatte, die von ihm behandelten Geschichtswerke wirklich zu analysieren, so dass sich die vorgenommene Zuordnung zu den Darstellungsformen "romantisch/tragisch/komisch/satirisch" als intellektuelles Spiel ohne Erkenntniswert herausstellte.

Georg G. Iggers hat 2001 an Whites Behandlung von Ranke kritisiert, dass dieser sich lediglich auf einige Vorworte und andere programmatische Äußerungen konzentriert, Rankes zahlreiche Geschichtswerke über Papsttum und Reformation, französische, englische, preußische Geschichte etc. aber ignoriert habe. Hätte er das getan, wäre deutlich geworden, so Iggers, dass Ranke trotz seiner beteuerten Unparteilichkeit ständig politisch motivierte Urteile abgebe.

Dies von Iggers zu lesen, entbehrt im Hinblick auf dessen eigene historiographiegeschichtliche Arbeiten nicht einer gewissen Komik. Sein Buch über die deutsche Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts war in den 1970er Jahren ein großer Erfolg gewesen. Es war eine Variante der 'von Luther/Hegel/beliebiger Name bis Hitler'-Literatur, ein Sündenregister der chauvinistischen, antidemokratischen, antisemitischen etc. Positionen, die deutsche Historiker vertreten hatten (und gewiss auch der rühmlichen Gegenbeispiele). Dass ihn letztlich nur die politischen Ansichten der Historiker interessieren, hat Iggers dann noch einmal in seiner Kritik an White offenbart.'Deutsche Geschichtswissenschaft' wird bei Iggers auf Werke reduziert, die deutsche Historiker mit politischen Intentionen über deutsche Geschichte geschrieben haben. So wird zum Beispiel Heinrich von Sybel ausführlich behandelt, dessen Geschichte der Revolutionszeit jedoch nur am Rande erwähnt. Sybels Betonung der verheerenden Folgen protosozialistischer Bewegungen in der Französischen Revolution reflektierte die Furcht vor der sozialen Revolution, die 1848 neue Nahrung in der Angst vor der 'roten Republik' gefunden hatte. Aber Sybel hatte eine Vielzahl unpublizierter Materialien benutzt und als einer der ersten die Aktenbestände des 'Wohlfahrtsausschusses' ausgewertet. Deshalb mussten sich auch französische Historiker, die seine Bewertung der Revolution überhaupt nicht teilten, mit ihm auseinandersetzen; dass das Werk eines Deutschen zur Revolution 1869 auch in französischer Übersetzung erschien, unterstreicht dies noch einmal.

In dieser 'deutschen Geschichtswissenschaft' kommen auch Mediävis-ten und Althistoriker nicht vor. Georg Waitz, dessen Seminare in Göttingen von Studenten aus ganz Europa und Übersee besucht wurden, wird nicht erwähnt. Die ausländischen Historiker, die gerade nach der Reichsgründung nach Deutschland und speziell Berlin kamen, waren nicht von dem Wunsch beseelt, dabei zu sein

Einleitung

In den 1970er Jahren sah sich die Geschichtswissenschaft durch die Thesen des amerikanischen Literaturhistorikers Hayden White herausgefordert, der Geschichtsschreibung als eine Form der Narration verstand, die sich auf eine begrenzte Zahl rhetorischer Muster reduzieren lasse. In Deutschland fand die Debatte über Whites Thesen mit Zeitverzögerung statt. Seine Sammlung theoretischer Aufsätze, Tropics of Discourse (1978), war 1986 in deutscher Fassung mit dem Haupttitel, Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen, erschienen; seine Monographie Metahistory von 1973, in der er seine Thesen auf große Historiker und Geschichtsphilosophen des 19. Jahrhunderts angewendet hatte, erschien in deutscher Übersetzung erst 1991.

Obwohl niemand bestritt, dass Historiographie, jedenfalls soweit Geschichte erzählt wird, auch eine Literaturgattung ist und mit den gewählten Erzählstrategien auch bestimmte Interpretationen vermittelt werden, war man sich doch schnell einig, dass es das Ende von Geschichtswissenschaft wäre, wenn der Anspruch aufgegeben würde, dass es um eine auf Quellen gegründete, intersubjektiv nachvollziehbare Rekonstruktion von Vergangenheit gehen müsse. Frappierend war, dass sich White, da jeglicher historischer Forschungspraxis abhold, als unfähig erwiesen hatte, die von ihm behandelten Geschichtswerke wirklich zu analysieren, so dass sich die vorgenommene Zuordnung zu den Darstellungsformen "romantisch/tragisch/komisch/satirisch" als intellektuelles Spiel ohne Erkenntniswert herausstellte.

Georg G. Iggers hat 2001 an Whites Behandlung von Ranke kritisiert, dass dieser sich lediglich auf einige Vorworte und andere programmatische Äußerungen konzentriert, Rankes zahlreiche Geschichtswerke über Papsttum und Reformation, französische, englische, preußische Geschichte etc. aber ignoriert habe. Hätte er das getan, wäre deutlich geworden, so Iggers, dass Ranke trotz seiner beteuerten Unparteilichkeit ständig politisch motivierte Urteile abgebe.

Dies von Iggers zu lesen, entbehrt im Hinblick auf dessen eigene historiographiegeschichtliche Arbeiten nicht einer gewissen Komik. Sein Buch über die deutsche Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts war in den 1970er Jahren ein großer Erfolg gewesen. Es war eine Variante der 'von Luther/Hegel/beliebiger Name bis Hitler'-Literatur, ein Sündenregister der chauvinistischen, antidemokratischen, antisemitischen etc. Positionen, die deutsche Historiker vertreten hatten (und gewiss auch der rühmlichen Gegenbeispiele). Dass ihn letztlich nur die politischen Ansichten der Historiker interessieren, hat Iggers dann noch einmal in seiner Kritik an White offenbart.'Deutsche Geschichtswissenschaft' wird bei Iggers auf Werke reduziert, die deutsche Historiker mit politischen Intentionen über deutsche Geschichte geschrieben haben. So wird zum Beispiel Heinrich von Sybel ausführlich behandelt, dessen Geschichte der Revolutionszeit jedoch nur am Rande erwähnt. Sybels Betonung der verheerenden Folgen protosozialistischer Bewegungen in der Französischen Revolution reflektierte die Furcht vor der sozialen Revolution, die 1848 neue Nahrung in der Angst vor der 'roten Republik' gefunden hatte. Aber Sybel hatte eine Vielzahl unpublizierter Materialien benutzt und als einer der ersten die Aktenbestände des 'Wohlfahrtsausschusses' ausgewertet. Deshalb mussten sich auch französische Historiker, die seine Bewertung der Revolution überhaupt nicht teilten, mit ihm auseinandersetzen; dass das Werk eines Deutschen zur Revolution 1869 auch in französischer Übersetzung erschien, unterstreicht dies noch einmal.

In dieser 'deutschen Geschichtswissenschaft' kommen auch Mediävis-ten und Althistoriker nicht vor. Georg Waitz, dessen Seminare in Göttingen von Studenten aus ganz Europa und Übersee besucht wurden, wird nicht erwähnt. Die ausländischen Historiker, die gerade nach der Reichsgründung nach Deutschland und speziell Berlin kamen, waren nicht von dem Wunsch beseelt, dabei zu sein

Details
Erscheinungsjahr: 2013
Fachbereich: Allgemeines
Genre: Geisteswissenschaften, Geschichte, Kunst, Musik
Rubrik: Geisteswissenschaften
Thema: Lexika
Medium: Taschenbuch
Inhalt: 402 S.
ISBN-13: 9783593399546
ISBN-10: 3593399547
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Autor: Nippel, Wilfried
Auflage: 1/2013
campus verlag: Campus Verlag
Maße: 213 x 140 x 23 mm
Von/Mit: Wilfried Nippel
Erscheinungsdatum: 07.11.2013
Gewicht: 0,497 kg
Artikel-ID: 105932400
Details
Erscheinungsjahr: 2013
Fachbereich: Allgemeines
Genre: Geisteswissenschaften, Geschichte, Kunst, Musik
Rubrik: Geisteswissenschaften
Thema: Lexika
Medium: Taschenbuch
Inhalt: 402 S.
ISBN-13: 9783593399546
ISBN-10: 3593399547
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Autor: Nippel, Wilfried
Auflage: 1/2013
campus verlag: Campus Verlag
Maße: 213 x 140 x 23 mm
Von/Mit: Wilfried Nippel
Erscheinungsdatum: 07.11.2013
Gewicht: 0,497 kg
Artikel-ID: 105932400
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