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Beschreibung
7. Im Zeitalter der Dampfschifffahrt: Wolgafahrten als Fahrten in die eigene Kultur und Geschichte7.1. VorbemerkungDie Bevölkerungsmehrheit Russlands kannte in der Mitte des 19. Jahrhunderts ihr eigenes Land weder aus eigener Anschauung noch durch Lektüre. Dabei war sie trotz der erst 1861 aufgehobenen Leibeigenschaftsordnung in den Jahrhunderten zuvor sehr mobil gewesen. Aber der lebensweltliche Hintergrund geographischer Mobilität war durch sehr spezifische Zwecke und Ziele geformt: die Flucht aus der Leibeigenschaft ("Läuflingswesen") in die weniger vom Staat durchdrungenen peripheren Regionen, ein im nördlichen Teil Russlands durch den geringen Bodenertrag erforderlicher jahreszeitlicher Wechsel zwischen der Arbeit auf dem Feld und gewerblicher Tätigkeit im Dorf oder in der Stadt, auch die Arbeitsmigration von bäuerlichen Sondergruppen wie der Treidler und von handeltreibenden Bauern, die gewaltsame Umsiedlung von Bauern auf gutsbesitzerlich-adligen Willen, der Militärdienst, die Verschickung nach Sibirien oder das Wallfahrtswesen, um nur einige Gründe zu nennen. Die geographische Mobilität wurde auch durch den schlechten Zustand der Verkehrswege, Land- wie Wasserwege, behindert. Kaufleute hatten seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts immer wieder ihre Verbesserung gefordert. Trotzdem waren sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch in einem kümmerlichen Zustand und nur im Sommer und Winter zu gebrauchen. Aber ohne Zweifel setzte im 19. Jahrhundert ein beschleunigter Wandel ein. Neue Technologien wie das Dampfschiff begannen in der Mitte des Jahrhunderts die alten Segel- und Ruderschiffe abzulösen, erste Eisenbahnen begannen durchs Land zu fahren. Die wirtschaftlichen Beziehungen dynamisierten sich mit dem Wegfall der Leibeigenschaftsordnung, die Migration in die Städte beschleunigte sich, und es entstanden neue Möglichkeiten der Beschäftigung in Gewerbe und Industrie. Aus den russischen Kaufleuten waren noch keine Bürger geworden, aber ältere kirchlich-patriarchalische Bindungen brachen auf und Unternehmergeist wurde [...] bäuerliche Bevölkerungsmehrheit war aber weder lese- noch schreibkundig. Sie hatte auch keine Verwendung für ein abstraktes geographisches Wissen und sah deshalb auch keine Notwendigkeit, es sich anzueignen. "Volksaufklärung" war ein Schlagwort, das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts innerhalb der sich als Intelligencija verstehenden intellektuellen oder akademischen Sozialgruppen Verbreitung gefunden und in der Mitte des 19. Jahrhunderts in die Gründung von einigen "Volksaufklärungsvereinigungen" gemündet hatte. Die Dorfgeistlichkeit fiel aufgrund ihres geringen kulturellen Interesses für solch ein Projekt und eine aktive Rolle in solchen Vereinigungen weitgehend aus. Die Vereinigungen entfalteten in der ländlichen Bevölkerung erst seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine intensivere Tätigkeit, häufig in Verbindung mit den Landschaftsorganen (zemstva). Patriarchalisches Verhalten und ein normatives Verständnis dessen, was die bäuerliche Bevölkerungsmehrheit wissen sollte, führten häufig zu Konflikten mit den Lesewünschen einer sich alphabetisierenden Bevölkerung, vor allem der in die Städte abwandernden bäuerlichen Bevölkerung, die Helden-, Räuber- und patriotische Kriegsgeschichten in Wort und Bild, in Zeitungen wie Volksbilderbögen, bevorzugte. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatten Adlige das intellektuelle Leben bestimmt, und manche Gutshäuser waren zu kulturellen Zentren auf dem Lande geworden. Die Zahl der Gelehrten oder Wissenschaftler in den großen Städten Russlands war noch gering, aber sie hatten Verständnis für abstraktes geographisches und kulturhistorisches Wissen, das sie in Enzyklopädien und anderen Formen veröffentlichten. Über die Herkunft des Namens Wolga und die frühe Geschichte ihrer Erforschung konnte man sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts in einigen Nachschlagewerken gut informieren. Im Enzyklopädischen Lexikon erschien in den 1830er J
7. Im Zeitalter der Dampfschifffahrt: Wolgafahrten als Fahrten in die eigene Kultur und Geschichte7.1. VorbemerkungDie Bevölkerungsmehrheit Russlands kannte in der Mitte des 19. Jahrhunderts ihr eigenes Land weder aus eigener Anschauung noch durch Lektüre. Dabei war sie trotz der erst 1861 aufgehobenen Leibeigenschaftsordnung in den Jahrhunderten zuvor sehr mobil gewesen. Aber der lebensweltliche Hintergrund geographischer Mobilität war durch sehr spezifische Zwecke und Ziele geformt: die Flucht aus der Leibeigenschaft ("Läuflingswesen") in die weniger vom Staat durchdrungenen peripheren Regionen, ein im nördlichen Teil Russlands durch den geringen Bodenertrag erforderlicher jahreszeitlicher Wechsel zwischen der Arbeit auf dem Feld und gewerblicher Tätigkeit im Dorf oder in der Stadt, auch die Arbeitsmigration von bäuerlichen Sondergruppen wie der Treidler und von handeltreibenden Bauern, die gewaltsame Umsiedlung von Bauern auf gutsbesitzerlich-adligen Willen, der Militärdienst, die Verschickung nach Sibirien oder das Wallfahrtswesen, um nur einige Gründe zu nennen. Die geographische Mobilität wurde auch durch den schlechten Zustand der Verkehrswege, Land- wie Wasserwege, behindert. Kaufleute hatten seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts immer wieder ihre Verbesserung gefordert. Trotzdem waren sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch in einem kümmerlichen Zustand und nur im Sommer und Winter zu gebrauchen. Aber ohne Zweifel setzte im 19. Jahrhundert ein beschleunigter Wandel ein. Neue Technologien wie das Dampfschiff begannen in der Mitte des Jahrhunderts die alten Segel- und Ruderschiffe abzulösen, erste Eisenbahnen begannen durchs Land zu fahren. Die wirtschaftlichen Beziehungen dynamisierten sich mit dem Wegfall der Leibeigenschaftsordnung, die Migration in die Städte beschleunigte sich, und es entstanden neue Möglichkeiten der Beschäftigung in Gewerbe und Industrie. Aus den russischen Kaufleuten waren noch keine Bürger geworden, aber ältere kirchlich-patriarchalische Bindungen brachen auf und Unternehmergeist wurde [...] bäuerliche Bevölkerungsmehrheit war aber weder lese- noch schreibkundig. Sie hatte auch keine Verwendung für ein abstraktes geographisches Wissen und sah deshalb auch keine Notwendigkeit, es sich anzueignen. "Volksaufklärung" war ein Schlagwort, das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts innerhalb der sich als Intelligencija verstehenden intellektuellen oder akademischen Sozialgruppen Verbreitung gefunden und in der Mitte des 19. Jahrhunderts in die Gründung von einigen "Volksaufklärungsvereinigungen" gemündet hatte. Die Dorfgeistlichkeit fiel aufgrund ihres geringen kulturellen Interesses für solch ein Projekt und eine aktive Rolle in solchen Vereinigungen weitgehend aus. Die Vereinigungen entfalteten in der ländlichen Bevölkerung erst seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine intensivere Tätigkeit, häufig in Verbindung mit den Landschaftsorganen (zemstva). Patriarchalisches Verhalten und ein normatives Verständnis dessen, was die bäuerliche Bevölkerungsmehrheit wissen sollte, führten häufig zu Konflikten mit den Lesewünschen einer sich alphabetisierenden Bevölkerung, vor allem der in die Städte abwandernden bäuerlichen Bevölkerung, die Helden-, Räuber- und patriotische Kriegsgeschichten in Wort und Bild, in Zeitungen wie Volksbilderbögen, bevorzugte. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatten Adlige das intellektuelle Leben bestimmt, und manche Gutshäuser waren zu kulturellen Zentren auf dem Lande geworden. Die Zahl der Gelehrten oder Wissenschaftler in den großen Städten Russlands war noch gering, aber sie hatten Verständnis für abstraktes geographisches und kulturhistorisches Wissen, das sie in Enzyklopädien und anderen Formen veröffentlichten. Über die Herkunft des Namens Wolga und die frühe Geschichte ihrer Erforschung konnte man sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts in einigen Nachschlagewerken gut informieren. Im Enzyklopädischen Lexikon erschien in den 1830er J
Details
Erscheinungsjahr: | 2009 |
---|---|
Medium: | Taschenbuch |
Inhalt: | 494 S. |
ISBN-13: | 9783593388762 |
ISBN-10: | 3593388766 |
Sprache: | Deutsch |
Einband: | Paperback |
Autor: | Hausmann, Guido |
Auflage: | 1/2009 |
campus verlag: | Campus Verlag |
Maße: | 213 x 140 x 33 mm |
Von/Mit: | Guido Hausmann |
Erscheinungsdatum: | 14.09.2009 |
Gewicht: | 0,614 kg |
Details
Erscheinungsjahr: | 2009 |
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Medium: | Taschenbuch |
Inhalt: | 494 S. |
ISBN-13: | 9783593388762 |
ISBN-10: | 3593388766 |
Sprache: | Deutsch |
Einband: | Paperback |
Autor: | Hausmann, Guido |
Auflage: | 1/2009 |
campus verlag: | Campus Verlag |
Maße: | 213 x 140 x 33 mm |
Von/Mit: | Guido Hausmann |
Erscheinungsdatum: | 14.09.2009 |
Gewicht: | 0,614 kg |
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