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Beschreibung
Von den Irren in unserer Familie, die mir meine Eltern ständig vor Augen hielten, weil ihnen mein Verhalten Anlaß gab, zu glauben, mir drohe dasselbe Schicksal, ist mir mein seit Jahren verschollener Onkel Danusch der liebste. An den Irren irritiert bekanntlich ihre Fähigkeit, sich eine Welt aufzubauen, eine Eigenwelt, in die sie sich mehr oder weniger behaglich einzurichten vermögen, und unabhängig von der Nicht-Irren-Welt, auch ich hatte mir als Kind eine Eigenwelt aufgebaut, ohne noch ein Irrer zu sein, nein, mehrere, und mit jeder Eigenwelt wurde die Sorge der Eltern, mir drohe das Irrenschicksal, größer und nicht zu Unrecht, bedenkt man, was später [...] in die Pubertät hinein gab ich zum Beispiel meine Gewohnheit nicht auf, wie ein Säugling an meinem Daumen zu lutschen, auch heute noch lutsche ich, um ehrlich zu sein, wenn mich Angst oder Sorgen quälen, meinen Daumen, oder reibe, wenn mich Angst oder Sorgen in der Öffentlichkeit quälen, meinen Daumennagel, der Wärme verströmt und mannigfache Gerüche, Muttermilchgerüche, Mutterbrustgerüche und die anrüchigen Düfte eines Frauenschosses, zwischen Oberlippe und [...] verstehen mich schon richtig, Frau Wundt. Die Wärme und der Eigengeruch meines linken Daumennagels sind eine Welt für mich, eine Eigenwelt, in der ich mich, ohne noch ein Irrer zu sein und unabhängig von der Nicht-Irren-Welt, mehr oder weniger behaglich einzurichten [...] zweite meiner Eigenwelten betrat ich kurz nach der Vollendung meines elften Lebensjahres, als ich, wie irgendeinmal in seinem Leben jeder Teheraner, mich plötzlich für Gedichte zu interessieren begann. Für gewöhnlich setzt das Gedichte-Interesse bei einem Teheraner etwas später ein, in etwa zwischen fünfzehn und achtzehn, Gedichte zu memorieren und zu rezitieren, Gedichte zu fabrizieren und an endlosen Gedicht-Ketten-Wettbewerben teilzunehmen, ist, wie das Skilaufen in der kalten und das Buschenschanksitzen in der warmen Jahreszeit bei Ihnen in Graz, bei uns in Teheran ein Volkssport. An Gedicht-Ketten-Wettbewerben nehmen immer zwei Personen teil, die eine sagt einen Vers eines bekannten Gedichts auf, draufhin muß die andere ebenfalls einen bekannten Gedichtvers aufsagen, der den Endbuchstaben des ersten Verses als Anfangsbuchstaben enthält, alle Teheraner, auch die Ungebildeten und Analphabeten, kennen eine Menge Gedichte auswendig, die erste Person muß dann einen dritten Vers aufsagen, der mit dem letzten Buchstaben des zweiten Verses beginnt und so fort. Derjenige, dem als ersten kein passender Vers mehr einfällt, hat verloren, ist verloren, müßte man sagen, er schämt sich in Grund und Boden, die Kultur der Teheraner gehört zu den Scham-Kulturen, es kommt vor, daß sich der Verlierer eines Gedicht-Ketten-Wettbewerbs anderntags den Strick gibt, oder die Kugel.(Aus dem ersten Brief von Arasch Bastani an seine Psychiaterin Veronika Wundt)
Von den Irren in unserer Familie, die mir meine Eltern ständig vor Augen hielten, weil ihnen mein Verhalten Anlaß gab, zu glauben, mir drohe dasselbe Schicksal, ist mir mein seit Jahren verschollener Onkel Danusch der liebste. An den Irren irritiert bekanntlich ihre Fähigkeit, sich eine Welt aufzubauen, eine Eigenwelt, in die sie sich mehr oder weniger behaglich einzurichten vermögen, und unabhängig von der Nicht-Irren-Welt, auch ich hatte mir als Kind eine Eigenwelt aufgebaut, ohne noch ein Irrer zu sein, nein, mehrere, und mit jeder Eigenwelt wurde die Sorge der Eltern, mir drohe das Irrenschicksal, größer und nicht zu Unrecht, bedenkt man, was später [...] in die Pubertät hinein gab ich zum Beispiel meine Gewohnheit nicht auf, wie ein Säugling an meinem Daumen zu lutschen, auch heute noch lutsche ich, um ehrlich zu sein, wenn mich Angst oder Sorgen quälen, meinen Daumen, oder reibe, wenn mich Angst oder Sorgen in der Öffentlichkeit quälen, meinen Daumennagel, der Wärme verströmt und mannigfache Gerüche, Muttermilchgerüche, Mutterbrustgerüche und die anrüchigen Düfte eines Frauenschosses, zwischen Oberlippe und [...] verstehen mich schon richtig, Frau Wundt. Die Wärme und der Eigengeruch meines linken Daumennagels sind eine Welt für mich, eine Eigenwelt, in der ich mich, ohne noch ein Irrer zu sein und unabhängig von der Nicht-Irren-Welt, mehr oder weniger behaglich einzurichten [...] zweite meiner Eigenwelten betrat ich kurz nach der Vollendung meines elften Lebensjahres, als ich, wie irgendeinmal in seinem Leben jeder Teheraner, mich plötzlich für Gedichte zu interessieren begann. Für gewöhnlich setzt das Gedichte-Interesse bei einem Teheraner etwas später ein, in etwa zwischen fünfzehn und achtzehn, Gedichte zu memorieren und zu rezitieren, Gedichte zu fabrizieren und an endlosen Gedicht-Ketten-Wettbewerben teilzunehmen, ist, wie das Skilaufen in der kalten und das Buschenschanksitzen in der warmen Jahreszeit bei Ihnen in Graz, bei uns in Teheran ein Volkssport. An Gedicht-Ketten-Wettbewerben nehmen immer zwei Personen teil, die eine sagt einen Vers eines bekannten Gedichts auf, draufhin muß die andere ebenfalls einen bekannten Gedichtvers aufsagen, der den Endbuchstaben des ersten Verses als Anfangsbuchstaben enthält, alle Teheraner, auch die Ungebildeten und Analphabeten, kennen eine Menge Gedichte auswendig, die erste Person muß dann einen dritten Vers aufsagen, der mit dem letzten Buchstaben des zweiten Verses beginnt und so fort. Derjenige, dem als ersten kein passender Vers mehr einfällt, hat verloren, ist verloren, müßte man sagen, er schämt sich in Grund und Boden, die Kultur der Teheraner gehört zu den Scham-Kulturen, es kommt vor, daß sich der Verlierer eines Gedicht-Ketten-Wettbewerbs anderntags den Strick gibt, oder die Kugel.(Aus dem ersten Brief von Arasch Bastani an seine Psychiaterin Veronika Wundt)
Details
Erscheinungsjahr: | 2014 |
---|---|
Genre: | Belletristik |
Medium: | Buch |
Inhalt: | 160 S. |
ISBN-13: | 9783854357339 |
ISBN-10: | 3854357338 |
Sprache: | Deutsch |
Einband: | Gebunden |
Autor: | Maani, Sama |
drava verlag: | Drava Verlag |
Verantwortliche Person für die EU: | Drava Verlag, Gabelsbergstr. 5/Ii, A-9020 Klagenfurt / Celovec, office@drava.at |
Maße: | 210 x 134 x 18 mm |
Von/Mit: | Sama Maani |
Erscheinungsdatum: | 07.02.2014 |
Gewicht: | 0,279 kg |
Details
Erscheinungsjahr: | 2014 |
---|---|
Genre: | Belletristik |
Medium: | Buch |
Inhalt: | 160 S. |
ISBN-13: | 9783854357339 |
ISBN-10: | 3854357338 |
Sprache: | Deutsch |
Einband: | Gebunden |
Autor: | Maani, Sama |
drava verlag: | Drava Verlag |
Verantwortliche Person für die EU: | Drava Verlag, Gabelsbergstr. 5/Ii, A-9020 Klagenfurt / Celovec, office@drava.at |
Maße: | 210 x 134 x 18 mm |
Von/Mit: | Sama Maani |
Erscheinungsdatum: | 07.02.2014 |
Gewicht: | 0,279 kg |
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