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Beschreibung
Dies ist ein ungewöhnliches Buch. Auf den ersten Blick handelt es sich um die Übersetzung eines chinesischen historischen Romans ins Deutsche. Das ist auch nicht falsch. Allerdings handelt es sich weder um einen Roman, noch behandelt der Autor A Lai hier ein chinesisches Thema, wie es der westliche Leser gewohnt sein mag.
Wie der Autor selbst in seinem Vorwort schreibt, ist dieses Buch kein fiktiver Roman. Es ist auch keine historische Erzählung, denn nichts an dem Inhalt ist von A Lai erdacht worden. Es ist am ehesten eine Kompilation, also eine Zusammenstellung von Materialien, Fundstücken, Dokumenten und mündlicher Überlieferung, die A Lai anfangs nebenbei, später aber in unermüdlicher Kleinarbeit und gründlicher Recherche zusammengetragen hat. Wie der Autor selbst sagt, stieß er zufällig auf die Geschichte Zhan Duis, wurde von ihr immer mehr gefangen genommen und begann, ihre Spuren Stück für Stück freizulegen. Es war gar nicht notwendig, sich etwas auszudenken, denn die Geschichte erzählt sich selbst. A Lai hat die komplexe Aufgabe übernommen, sie auszugraben, in Form von Schriften und Zitaten sprechen zu lassen und sie so zu arrangieren, dass sie für den Leser in geschlossenes Narrativ ergibt. Dieser Prozess erfordert sicher nicht weniger Arbeit und Geduld, Kreativität und Fantasie wie das Verfassen eines richtigen Romans.
Auf der anderen Seite ist Zhan Dui kein bloßes Geschichtsbuch. A Lai ist kein Historiker und erhebt auch nicht den Anspruch, hier eine wissenschaftliche Abhandlung vorzulegen - auch wenn das authentische Material dafür durchaus taugen würde. Der Autor nutzt seine Fähigkeiten als Erzähler und erschafft eine Geschichte aus der Realität. Dabei kann er sich größere Freiheiten als ein Historiker leisten und so webt er offizielle Dokumente wie den Schriftverkehr zwischen hohen chinesischen Beamten in Sichuan und dem Kaiser zusammen mit Fundstücken aus lokalen Chroniken und anderen Quellen und bereichert unser Bild von den Vorgängen um Zhan Dui durch Volkserzählungen und Legenden - unabhängig davon, ob sie nun wahre Geschichten transportieren oder nicht.
Wer gerne historische Literatur liest und vielleicht schon einmal zu Werken über die Geschichte Chinas oder Tibets gegriffen hat, wird grundsätzlich mit Land und Kultur vertraut sein. Aber üblicherweise herrscht in solchen Bänden Eindeutigkeit: Es geht um ein festgelegtes Gebiet, es geht um China. Oder Tibet. Oder vielleicht Hainan. Auf jeden Fall ist die Zuordnung eindeutig.
Zhan Dui wie die ganze Geschichte Khams ist viel komplexer - und spannender.
Es geht um eine Grenzregion. Kham ist tibetisch geprägt, gehörte aber zur chinesischen Provinz Sichuan. Das Besondere an dieser Region ist also in mehrfacher Hinsicht ihr Doppelcharakter: Sie gehört sowohl zu Tibet wie zu China und sie ist gleichzeitig für beide Kulturräume an der Peripherie.
Das galt für Kultur und Sprache ebenso wie für die Verwaltung. Diese kulturell tibetischen Regionen Sichuans waren nicht in die normale Verwaltung eingebunden. Dies betraf nicht nur die tibetisch geprägten Regionen, sondern weite Teile der Provinzen in Chinas Südwesten. Weite Regionen in Provinzen wie Sichuan, Yunnan, Guizhou oder Guangxi gehörten zwar theoretisch seit Jahrhunderten zum chinesischen Kaiserreich, in der Praxis wussten die han-chinesischen Machthaber aber nur wenig über diese Gebiete und die Ethnien, die dort lebten. Sie waren weder militärisch noch verwaltungstechnisch zu kontrollieren, und somit führten die Vertreter der kaiserlichen Regierung ein System ein, das sich mit dem Prinzip des Indirect Rule vergleichen lässt, das besonders Großbritannien in vielen seiner Kolonien anwendete: Man versuchte gar nicht erst, die einzelnen Ethnien direkt unter Kontrolle zu bringen, sondern ernannte die Hauptleute zu Vertretern der Regierung, den Tusi. Das war eine höchst elegante Lösung: Erstens blieben die örtlichen Machtstrukturen unangetastet, aus Sicht der neuen Völker Chinas änderte sich wenig. Zweitens konnte sich die kaiserliche Verwaltung weismachen, eine befriedigende Lösung gefunden zu haben, ohne kostspielige Strukturen vor Ort, die ohnehin mit Waffengewalt hätten erzwungen werden müssen.
Das Tusi-System geht schon sehr weit in der chinesischen Geschichte zurück. Es hat seine Vorläufer im Jimi-System, das schon in der frühen Tang-Zeit eingerichtet worden ist. Der Begriff Jimi geht auf das Werk des chinesischen Historikers Sima Zhen zurück und bezeichnet einen Mann, der ein Pferd oder einen Ochsen an der Leine führt. So betrachteten die Tang-Kaiser auch die Anführer von fremden Völkern, die durch Eroberung oder Unterwerfung unter ihre Herrschaft gekommen waren. Für die Völker wurde das Jimi-System geschaffen, das parallel zur chinesischen Verwaltung bestand. Die unterste Stufe waren die Anführer oder Häuptlinge. Sie blieben einfach in ihrer alten Stellung, waren aber nun als besondere Beamte Untertanen der Tang. Sie waren eigenen Präfekten unterstellt. Auf Aufforderung hatten sie Dienste zu leisten, zum Beispiel mussten sie im Kriegsfall Truppen stellen, ansonsten blieben sie aber weitgehend unabhängig.
Das Jimi-System war das Vorbild für den Umgang Chinas mit Völkern in eroberten Gebieten oder den eigenen Grenzregionen bis in die Zeit der Qing-Dynastie. Es wurde in vielen Gebieten Chinas angewendet. In der Zeit der Tang findet sich das Jimi-System in vielen Regionen, beispielsweise in den Khanaten im Gebiet der heutigen Provinz Xinjiang, bis in das moderne Afghanistan hinein, aber auch in den mongolischen Gebieten Richtung Norden. Hier war das Jimi-System praktisch die einzige Verwaltungsform. Dagegen bestand es im Süden und Südwesten Chinas, auch in Sichuan, parallel zu der normalen zivilen Verwaltung.
Das Tusi, System, von dem wir so viel gehört haben, entstand unter der mongolischen Herrschaft, unter den Yuan-Dynastie. Es wurde unter den Ming und den Qing weitergeführt. Tusi bedeutet wörtlich einheimische Fürsten. Die Mongolen begannen dies System einzuführen, denn sie wollten nach der Eroberung Chinas auch die eroberten Grenzregionen schnell unter Kontrolle bringen. Die Ernennung der lokalen Anführer zu Beamten sorgte auf der einen Seite für die schnelle Einführung einer einheitlichen Verwaltung. Auf der anderen Seite wurden die Sitten und Gebräuche der betroffenen Gebiete nicht angetastet. Die Anführer blieben die gleichen und da der Titel des Tusi meistens erblich war, blieb auch die Folge der örtlichen Dynastien erhalten.
Die Ming-Dynastie übernahm dieses System gerne, war es doch auch eine Form, relativ einfach Gebiete nominell unter Kontrolle zu bringen und in die Verwaltung einzugliedern. Das machte es möglich, auch weiße Flecken auf der Karte als stabile Gebiete der eigenen Herrschaft auszuweisen. Viele Regionen, beispielsweise im Südwesten Chinas, waren den Han-Chinesen völlig unbekannt. Von vielen Völkern in den Bergregionen in Guizhou, Yunnan oder Sichuan wusste die kaiserliche Verwaltung praktisch nichts, nicht einmal ihre richtigen Namen. Mit der Ernennung ihrer Häuptlinge zu Tusi konnte die kaiserliche Regierung sich in der Gewissheit wiegen, die Angelegenheiten im eigenen Reich geordnet zu haben.
Doch unter den Qing geriet das System zunehmend ins Wanken: Zum einen gaben sich die Qing nicht damit zufrieden, große Gebiete ihres Reiches als weiße Flecken auf der Landkarte nur in der Theorie zu beherrschen. Das bedeutete auf der einen Seite das Sammeln von Informationen, so entstanden ganze Kataloge einzelner Ethnien in Chinas Südwesten, die in erster Linie unterschieden, ob diese Völker Chinas Kultur akzeptiert hatten oder gefährlich waren. Auf der anderen Seite bemühte sich die kaiserliche Verwaltung zunehmend um einen direkten Zugriff auf die Tusi-Gebiete und führte im Zweifelsfall auch Kriege, um Kontrolle und Ordnung (wieder) herzustellen. Dies resultierte noch unter der Regierung des Qianlong-Kaisers in einer Reihe von Kriegen, von denen auch in diesem Buch die Rede ist. Das Tusi-System geriet aber auch in die Krise, weil die traditionelle lokale Herrschaft sich als völlig unfähig erwies, sich politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Wandlungsprozessen anzupassen.
Die einfachen Leute, Dorfbewohner oder Bauern, waren das Objekt der Beteiligten in diesem Spiel. Das ist das eigentliche Thema dieses Buches. A Lai bringt uns die Situation der Menschen in der tibetisch geprägten Grenzregion Sichuans nahe. Er macht dem Lesepublikum deutlich, wie sie erst zwischen machthungrigen Tusi und der kaiserlichen Macht zerrieben wurden. Im 19. Jahrhundert wurden sie dann zum Spielball im Tauziehen zwischen China und Tibet. Der Autor streicht deutlich heraus, dass sich zwar alle, von den Tusi über die chinesische Provinzverwaltung bis zu den tibetischen Statthaltern, um die Macht über eine Region wie Zhan Dui stritten, sich aber letztendlich niemand darum scherte, etwas aufzubauen oder zu entwickeln. Erst einige reformorientierte Beamte der späten Qing versuchten sich daran, ein Stück Moderne, wirtschaftliche Prosperität oder Bildung, auch nach Zhan Dui zu bringen.
Die Übersetzung von A Lais Roman Zhan Dui war in mehrfacher Hinsicht eine komplexe Aufgabe. Dies betrifft nicht nur die üblichen Herausforderungen, einen Text von einer Sprache in die andere zu übertragen und dabei nicht nur den Inhalt, sondern auch den Stil und die Stimmung zu erhalten und getreu dem Original wiederzugeben. In diesem Fall kommen die Art der Texte und der historische Hintergrund hinzu.
Beginnen wir bei der Sprache: Ein chinesischer Text ist nicht wortwörtlich zu übersetzen. Dafür sind die Strukturen, ist die Grammatik beider Sprachen zu unterschiedlich. Ganz zu schweigen von Denk- oder Redefiguren, Metaphern, Sprichwörtern oder Vergleichen. Das heisst auch, eine Übersetzung aus dem Chinesischen ins Deutsche ist immer eher eine Übertragung. Dabei ist es nicht immer einfach, die Balance zu wahren. Es gibt Übersetzungen, die sich bemühen, möglichst nahe...
Wie der Autor selbst in seinem Vorwort schreibt, ist dieses Buch kein fiktiver Roman. Es ist auch keine historische Erzählung, denn nichts an dem Inhalt ist von A Lai erdacht worden. Es ist am ehesten eine Kompilation, also eine Zusammenstellung von Materialien, Fundstücken, Dokumenten und mündlicher Überlieferung, die A Lai anfangs nebenbei, später aber in unermüdlicher Kleinarbeit und gründlicher Recherche zusammengetragen hat. Wie der Autor selbst sagt, stieß er zufällig auf die Geschichte Zhan Duis, wurde von ihr immer mehr gefangen genommen und begann, ihre Spuren Stück für Stück freizulegen. Es war gar nicht notwendig, sich etwas auszudenken, denn die Geschichte erzählt sich selbst. A Lai hat die komplexe Aufgabe übernommen, sie auszugraben, in Form von Schriften und Zitaten sprechen zu lassen und sie so zu arrangieren, dass sie für den Leser in geschlossenes Narrativ ergibt. Dieser Prozess erfordert sicher nicht weniger Arbeit und Geduld, Kreativität und Fantasie wie das Verfassen eines richtigen Romans.
Auf der anderen Seite ist Zhan Dui kein bloßes Geschichtsbuch. A Lai ist kein Historiker und erhebt auch nicht den Anspruch, hier eine wissenschaftliche Abhandlung vorzulegen - auch wenn das authentische Material dafür durchaus taugen würde. Der Autor nutzt seine Fähigkeiten als Erzähler und erschafft eine Geschichte aus der Realität. Dabei kann er sich größere Freiheiten als ein Historiker leisten und so webt er offizielle Dokumente wie den Schriftverkehr zwischen hohen chinesischen Beamten in Sichuan und dem Kaiser zusammen mit Fundstücken aus lokalen Chroniken und anderen Quellen und bereichert unser Bild von den Vorgängen um Zhan Dui durch Volkserzählungen und Legenden - unabhängig davon, ob sie nun wahre Geschichten transportieren oder nicht.
Wer gerne historische Literatur liest und vielleicht schon einmal zu Werken über die Geschichte Chinas oder Tibets gegriffen hat, wird grundsätzlich mit Land und Kultur vertraut sein. Aber üblicherweise herrscht in solchen Bänden Eindeutigkeit: Es geht um ein festgelegtes Gebiet, es geht um China. Oder Tibet. Oder vielleicht Hainan. Auf jeden Fall ist die Zuordnung eindeutig.
Zhan Dui wie die ganze Geschichte Khams ist viel komplexer - und spannender.
Es geht um eine Grenzregion. Kham ist tibetisch geprägt, gehörte aber zur chinesischen Provinz Sichuan. Das Besondere an dieser Region ist also in mehrfacher Hinsicht ihr Doppelcharakter: Sie gehört sowohl zu Tibet wie zu China und sie ist gleichzeitig für beide Kulturräume an der Peripherie.
Das galt für Kultur und Sprache ebenso wie für die Verwaltung. Diese kulturell tibetischen Regionen Sichuans waren nicht in die normale Verwaltung eingebunden. Dies betraf nicht nur die tibetisch geprägten Regionen, sondern weite Teile der Provinzen in Chinas Südwesten. Weite Regionen in Provinzen wie Sichuan, Yunnan, Guizhou oder Guangxi gehörten zwar theoretisch seit Jahrhunderten zum chinesischen Kaiserreich, in der Praxis wussten die han-chinesischen Machthaber aber nur wenig über diese Gebiete und die Ethnien, die dort lebten. Sie waren weder militärisch noch verwaltungstechnisch zu kontrollieren, und somit führten die Vertreter der kaiserlichen Regierung ein System ein, das sich mit dem Prinzip des Indirect Rule vergleichen lässt, das besonders Großbritannien in vielen seiner Kolonien anwendete: Man versuchte gar nicht erst, die einzelnen Ethnien direkt unter Kontrolle zu bringen, sondern ernannte die Hauptleute zu Vertretern der Regierung, den Tusi. Das war eine höchst elegante Lösung: Erstens blieben die örtlichen Machtstrukturen unangetastet, aus Sicht der neuen Völker Chinas änderte sich wenig. Zweitens konnte sich die kaiserliche Verwaltung weismachen, eine befriedigende Lösung gefunden zu haben, ohne kostspielige Strukturen vor Ort, die ohnehin mit Waffengewalt hätten erzwungen werden müssen.
Das Tusi-System geht schon sehr weit in der chinesischen Geschichte zurück. Es hat seine Vorläufer im Jimi-System, das schon in der frühen Tang-Zeit eingerichtet worden ist. Der Begriff Jimi geht auf das Werk des chinesischen Historikers Sima Zhen zurück und bezeichnet einen Mann, der ein Pferd oder einen Ochsen an der Leine führt. So betrachteten die Tang-Kaiser auch die Anführer von fremden Völkern, die durch Eroberung oder Unterwerfung unter ihre Herrschaft gekommen waren. Für die Völker wurde das Jimi-System geschaffen, das parallel zur chinesischen Verwaltung bestand. Die unterste Stufe waren die Anführer oder Häuptlinge. Sie blieben einfach in ihrer alten Stellung, waren aber nun als besondere Beamte Untertanen der Tang. Sie waren eigenen Präfekten unterstellt. Auf Aufforderung hatten sie Dienste zu leisten, zum Beispiel mussten sie im Kriegsfall Truppen stellen, ansonsten blieben sie aber weitgehend unabhängig.
Das Jimi-System war das Vorbild für den Umgang Chinas mit Völkern in eroberten Gebieten oder den eigenen Grenzregionen bis in die Zeit der Qing-Dynastie. Es wurde in vielen Gebieten Chinas angewendet. In der Zeit der Tang findet sich das Jimi-System in vielen Regionen, beispielsweise in den Khanaten im Gebiet der heutigen Provinz Xinjiang, bis in das moderne Afghanistan hinein, aber auch in den mongolischen Gebieten Richtung Norden. Hier war das Jimi-System praktisch die einzige Verwaltungsform. Dagegen bestand es im Süden und Südwesten Chinas, auch in Sichuan, parallel zu der normalen zivilen Verwaltung.
Das Tusi, System, von dem wir so viel gehört haben, entstand unter der mongolischen Herrschaft, unter den Yuan-Dynastie. Es wurde unter den Ming und den Qing weitergeführt. Tusi bedeutet wörtlich einheimische Fürsten. Die Mongolen begannen dies System einzuführen, denn sie wollten nach der Eroberung Chinas auch die eroberten Grenzregionen schnell unter Kontrolle bringen. Die Ernennung der lokalen Anführer zu Beamten sorgte auf der einen Seite für die schnelle Einführung einer einheitlichen Verwaltung. Auf der anderen Seite wurden die Sitten und Gebräuche der betroffenen Gebiete nicht angetastet. Die Anführer blieben die gleichen und da der Titel des Tusi meistens erblich war, blieb auch die Folge der örtlichen Dynastien erhalten.
Die Ming-Dynastie übernahm dieses System gerne, war es doch auch eine Form, relativ einfach Gebiete nominell unter Kontrolle zu bringen und in die Verwaltung einzugliedern. Das machte es möglich, auch weiße Flecken auf der Karte als stabile Gebiete der eigenen Herrschaft auszuweisen. Viele Regionen, beispielsweise im Südwesten Chinas, waren den Han-Chinesen völlig unbekannt. Von vielen Völkern in den Bergregionen in Guizhou, Yunnan oder Sichuan wusste die kaiserliche Verwaltung praktisch nichts, nicht einmal ihre richtigen Namen. Mit der Ernennung ihrer Häuptlinge zu Tusi konnte die kaiserliche Regierung sich in der Gewissheit wiegen, die Angelegenheiten im eigenen Reich geordnet zu haben.
Doch unter den Qing geriet das System zunehmend ins Wanken: Zum einen gaben sich die Qing nicht damit zufrieden, große Gebiete ihres Reiches als weiße Flecken auf der Landkarte nur in der Theorie zu beherrschen. Das bedeutete auf der einen Seite das Sammeln von Informationen, so entstanden ganze Kataloge einzelner Ethnien in Chinas Südwesten, die in erster Linie unterschieden, ob diese Völker Chinas Kultur akzeptiert hatten oder gefährlich waren. Auf der anderen Seite bemühte sich die kaiserliche Verwaltung zunehmend um einen direkten Zugriff auf die Tusi-Gebiete und führte im Zweifelsfall auch Kriege, um Kontrolle und Ordnung (wieder) herzustellen. Dies resultierte noch unter der Regierung des Qianlong-Kaisers in einer Reihe von Kriegen, von denen auch in diesem Buch die Rede ist. Das Tusi-System geriet aber auch in die Krise, weil die traditionelle lokale Herrschaft sich als völlig unfähig erwies, sich politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Wandlungsprozessen anzupassen.
Die einfachen Leute, Dorfbewohner oder Bauern, waren das Objekt der Beteiligten in diesem Spiel. Das ist das eigentliche Thema dieses Buches. A Lai bringt uns die Situation der Menschen in der tibetisch geprägten Grenzregion Sichuans nahe. Er macht dem Lesepublikum deutlich, wie sie erst zwischen machthungrigen Tusi und der kaiserlichen Macht zerrieben wurden. Im 19. Jahrhundert wurden sie dann zum Spielball im Tauziehen zwischen China und Tibet. Der Autor streicht deutlich heraus, dass sich zwar alle, von den Tusi über die chinesische Provinzverwaltung bis zu den tibetischen Statthaltern, um die Macht über eine Region wie Zhan Dui stritten, sich aber letztendlich niemand darum scherte, etwas aufzubauen oder zu entwickeln. Erst einige reformorientierte Beamte der späten Qing versuchten sich daran, ein Stück Moderne, wirtschaftliche Prosperität oder Bildung, auch nach Zhan Dui zu bringen.
Die Übersetzung von A Lais Roman Zhan Dui war in mehrfacher Hinsicht eine komplexe Aufgabe. Dies betrifft nicht nur die üblichen Herausforderungen, einen Text von einer Sprache in die andere zu übertragen und dabei nicht nur den Inhalt, sondern auch den Stil und die Stimmung zu erhalten und getreu dem Original wiederzugeben. In diesem Fall kommen die Art der Texte und der historische Hintergrund hinzu.
Beginnen wir bei der Sprache: Ein chinesischer Text ist nicht wortwörtlich zu übersetzen. Dafür sind die Strukturen, ist die Grammatik beider Sprachen zu unterschiedlich. Ganz zu schweigen von Denk- oder Redefiguren, Metaphern, Sprichwörtern oder Vergleichen. Das heisst auch, eine Übersetzung aus dem Chinesischen ins Deutsche ist immer eher eine Übertragung. Dabei ist es nicht immer einfach, die Balance zu wahren. Es gibt Übersetzungen, die sich bemühen, möglichst nahe...
Dies ist ein ungewöhnliches Buch. Auf den ersten Blick handelt es sich um die Übersetzung eines chinesischen historischen Romans ins Deutsche. Das ist auch nicht falsch. Allerdings handelt es sich weder um einen Roman, noch behandelt der Autor A Lai hier ein chinesisches Thema, wie es der westliche Leser gewohnt sein mag.
Wie der Autor selbst in seinem Vorwort schreibt, ist dieses Buch kein fiktiver Roman. Es ist auch keine historische Erzählung, denn nichts an dem Inhalt ist von A Lai erdacht worden. Es ist am ehesten eine Kompilation, also eine Zusammenstellung von Materialien, Fundstücken, Dokumenten und mündlicher Überlieferung, die A Lai anfangs nebenbei, später aber in unermüdlicher Kleinarbeit und gründlicher Recherche zusammengetragen hat. Wie der Autor selbst sagt, stieß er zufällig auf die Geschichte Zhan Duis, wurde von ihr immer mehr gefangen genommen und begann, ihre Spuren Stück für Stück freizulegen. Es war gar nicht notwendig, sich etwas auszudenken, denn die Geschichte erzählt sich selbst. A Lai hat die komplexe Aufgabe übernommen, sie auszugraben, in Form von Schriften und Zitaten sprechen zu lassen und sie so zu arrangieren, dass sie für den Leser in geschlossenes Narrativ ergibt. Dieser Prozess erfordert sicher nicht weniger Arbeit und Geduld, Kreativität und Fantasie wie das Verfassen eines richtigen Romans.
Auf der anderen Seite ist Zhan Dui kein bloßes Geschichtsbuch. A Lai ist kein Historiker und erhebt auch nicht den Anspruch, hier eine wissenschaftliche Abhandlung vorzulegen - auch wenn das authentische Material dafür durchaus taugen würde. Der Autor nutzt seine Fähigkeiten als Erzähler und erschafft eine Geschichte aus der Realität. Dabei kann er sich größere Freiheiten als ein Historiker leisten und so webt er offizielle Dokumente wie den Schriftverkehr zwischen hohen chinesischen Beamten in Sichuan und dem Kaiser zusammen mit Fundstücken aus lokalen Chroniken und anderen Quellen und bereichert unser Bild von den Vorgängen um Zhan Dui durch Volkserzählungen und Legenden - unabhängig davon, ob sie nun wahre Geschichten transportieren oder nicht.
Wer gerne historische Literatur liest und vielleicht schon einmal zu Werken über die Geschichte Chinas oder Tibets gegriffen hat, wird grundsätzlich mit Land und Kultur vertraut sein. Aber üblicherweise herrscht in solchen Bänden Eindeutigkeit: Es geht um ein festgelegtes Gebiet, es geht um China. Oder Tibet. Oder vielleicht Hainan. Auf jeden Fall ist die Zuordnung eindeutig.
Zhan Dui wie die ganze Geschichte Khams ist viel komplexer - und spannender.
Es geht um eine Grenzregion. Kham ist tibetisch geprägt, gehörte aber zur chinesischen Provinz Sichuan. Das Besondere an dieser Region ist also in mehrfacher Hinsicht ihr Doppelcharakter: Sie gehört sowohl zu Tibet wie zu China und sie ist gleichzeitig für beide Kulturräume an der Peripherie.
Das galt für Kultur und Sprache ebenso wie für die Verwaltung. Diese kulturell tibetischen Regionen Sichuans waren nicht in die normale Verwaltung eingebunden. Dies betraf nicht nur die tibetisch geprägten Regionen, sondern weite Teile der Provinzen in Chinas Südwesten. Weite Regionen in Provinzen wie Sichuan, Yunnan, Guizhou oder Guangxi gehörten zwar theoretisch seit Jahrhunderten zum chinesischen Kaiserreich, in der Praxis wussten die han-chinesischen Machthaber aber nur wenig über diese Gebiete und die Ethnien, die dort lebten. Sie waren weder militärisch noch verwaltungstechnisch zu kontrollieren, und somit führten die Vertreter der kaiserlichen Regierung ein System ein, das sich mit dem Prinzip des Indirect Rule vergleichen lässt, das besonders Großbritannien in vielen seiner Kolonien anwendete: Man versuchte gar nicht erst, die einzelnen Ethnien direkt unter Kontrolle zu bringen, sondern ernannte die Hauptleute zu Vertretern der Regierung, den Tusi. Das war eine höchst elegante Lösung: Erstens blieben die örtlichen Machtstrukturen unangetastet, aus Sicht der neuen Völker Chinas änderte sich wenig. Zweitens konnte sich die kaiserliche Verwaltung weismachen, eine befriedigende Lösung gefunden zu haben, ohne kostspielige Strukturen vor Ort, die ohnehin mit Waffengewalt hätten erzwungen werden müssen.
Das Tusi-System geht schon sehr weit in der chinesischen Geschichte zurück. Es hat seine Vorläufer im Jimi-System, das schon in der frühen Tang-Zeit eingerichtet worden ist. Der Begriff Jimi geht auf das Werk des chinesischen Historikers Sima Zhen zurück und bezeichnet einen Mann, der ein Pferd oder einen Ochsen an der Leine führt. So betrachteten die Tang-Kaiser auch die Anführer von fremden Völkern, die durch Eroberung oder Unterwerfung unter ihre Herrschaft gekommen waren. Für die Völker wurde das Jimi-System geschaffen, das parallel zur chinesischen Verwaltung bestand. Die unterste Stufe waren die Anführer oder Häuptlinge. Sie blieben einfach in ihrer alten Stellung, waren aber nun als besondere Beamte Untertanen der Tang. Sie waren eigenen Präfekten unterstellt. Auf Aufforderung hatten sie Dienste zu leisten, zum Beispiel mussten sie im Kriegsfall Truppen stellen, ansonsten blieben sie aber weitgehend unabhängig.
Das Jimi-System war das Vorbild für den Umgang Chinas mit Völkern in eroberten Gebieten oder den eigenen Grenzregionen bis in die Zeit der Qing-Dynastie. Es wurde in vielen Gebieten Chinas angewendet. In der Zeit der Tang findet sich das Jimi-System in vielen Regionen, beispielsweise in den Khanaten im Gebiet der heutigen Provinz Xinjiang, bis in das moderne Afghanistan hinein, aber auch in den mongolischen Gebieten Richtung Norden. Hier war das Jimi-System praktisch die einzige Verwaltungsform. Dagegen bestand es im Süden und Südwesten Chinas, auch in Sichuan, parallel zu der normalen zivilen Verwaltung.
Das Tusi, System, von dem wir so viel gehört haben, entstand unter der mongolischen Herrschaft, unter den Yuan-Dynastie. Es wurde unter den Ming und den Qing weitergeführt. Tusi bedeutet wörtlich einheimische Fürsten. Die Mongolen begannen dies System einzuführen, denn sie wollten nach der Eroberung Chinas auch die eroberten Grenzregionen schnell unter Kontrolle bringen. Die Ernennung der lokalen Anführer zu Beamten sorgte auf der einen Seite für die schnelle Einführung einer einheitlichen Verwaltung. Auf der anderen Seite wurden die Sitten und Gebräuche der betroffenen Gebiete nicht angetastet. Die Anführer blieben die gleichen und da der Titel des Tusi meistens erblich war, blieb auch die Folge der örtlichen Dynastien erhalten.
Die Ming-Dynastie übernahm dieses System gerne, war es doch auch eine Form, relativ einfach Gebiete nominell unter Kontrolle zu bringen und in die Verwaltung einzugliedern. Das machte es möglich, auch weiße Flecken auf der Karte als stabile Gebiete der eigenen Herrschaft auszuweisen. Viele Regionen, beispielsweise im Südwesten Chinas, waren den Han-Chinesen völlig unbekannt. Von vielen Völkern in den Bergregionen in Guizhou, Yunnan oder Sichuan wusste die kaiserliche Verwaltung praktisch nichts, nicht einmal ihre richtigen Namen. Mit der Ernennung ihrer Häuptlinge zu Tusi konnte die kaiserliche Regierung sich in der Gewissheit wiegen, die Angelegenheiten im eigenen Reich geordnet zu haben.
Doch unter den Qing geriet das System zunehmend ins Wanken: Zum einen gaben sich die Qing nicht damit zufrieden, große Gebiete ihres Reiches als weiße Flecken auf der Landkarte nur in der Theorie zu beherrschen. Das bedeutete auf der einen Seite das Sammeln von Informationen, so entstanden ganze Kataloge einzelner Ethnien in Chinas Südwesten, die in erster Linie unterschieden, ob diese Völker Chinas Kultur akzeptiert hatten oder gefährlich waren. Auf der anderen Seite bemühte sich die kaiserliche Verwaltung zunehmend um einen direkten Zugriff auf die Tusi-Gebiete und führte im Zweifelsfall auch Kriege, um Kontrolle und Ordnung (wieder) herzustellen. Dies resultierte noch unter der Regierung des Qianlong-Kaisers in einer Reihe von Kriegen, von denen auch in diesem Buch die Rede ist. Das Tusi-System geriet aber auch in die Krise, weil die traditionelle lokale Herrschaft sich als völlig unfähig erwies, sich politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Wandlungsprozessen anzupassen.
Die einfachen Leute, Dorfbewohner oder Bauern, waren das Objekt der Beteiligten in diesem Spiel. Das ist das eigentliche Thema dieses Buches. A Lai bringt uns die Situation der Menschen in der tibetisch geprägten Grenzregion Sichuans nahe. Er macht dem Lesepublikum deutlich, wie sie erst zwischen machthungrigen Tusi und der kaiserlichen Macht zerrieben wurden. Im 19. Jahrhundert wurden sie dann zum Spielball im Tauziehen zwischen China und Tibet. Der Autor streicht deutlich heraus, dass sich zwar alle, von den Tusi über die chinesische Provinzverwaltung bis zu den tibetischen Statthaltern, um die Macht über eine Region wie Zhan Dui stritten, sich aber letztendlich niemand darum scherte, etwas aufzubauen oder zu entwickeln. Erst einige reformorientierte Beamte der späten Qing versuchten sich daran, ein Stück Moderne, wirtschaftliche Prosperität oder Bildung, auch nach Zhan Dui zu bringen.
Die Übersetzung von A Lais Roman Zhan Dui war in mehrfacher Hinsicht eine komplexe Aufgabe. Dies betrifft nicht nur die üblichen Herausforderungen, einen Text von einer Sprache in die andere zu übertragen und dabei nicht nur den Inhalt, sondern auch den Stil und die Stimmung zu erhalten und getreu dem Original wiederzugeben. In diesem Fall kommen die Art der Texte und der historische Hintergrund hinzu.
Beginnen wir bei der Sprache: Ein chinesischer Text ist nicht wortwörtlich zu übersetzen. Dafür sind die Strukturen, ist die Grammatik beider Sprachen zu unterschiedlich. Ganz zu schweigen von Denk- oder Redefiguren, Metaphern, Sprichwörtern oder Vergleichen. Das heisst auch, eine Übersetzung aus dem Chinesischen ins Deutsche ist immer eher eine Übertragung. Dabei ist es nicht immer einfach, die Balance zu wahren. Es gibt Übersetzungen, die sich bemühen, möglichst nahe...
Wie der Autor selbst in seinem Vorwort schreibt, ist dieses Buch kein fiktiver Roman. Es ist auch keine historische Erzählung, denn nichts an dem Inhalt ist von A Lai erdacht worden. Es ist am ehesten eine Kompilation, also eine Zusammenstellung von Materialien, Fundstücken, Dokumenten und mündlicher Überlieferung, die A Lai anfangs nebenbei, später aber in unermüdlicher Kleinarbeit und gründlicher Recherche zusammengetragen hat. Wie der Autor selbst sagt, stieß er zufällig auf die Geschichte Zhan Duis, wurde von ihr immer mehr gefangen genommen und begann, ihre Spuren Stück für Stück freizulegen. Es war gar nicht notwendig, sich etwas auszudenken, denn die Geschichte erzählt sich selbst. A Lai hat die komplexe Aufgabe übernommen, sie auszugraben, in Form von Schriften und Zitaten sprechen zu lassen und sie so zu arrangieren, dass sie für den Leser in geschlossenes Narrativ ergibt. Dieser Prozess erfordert sicher nicht weniger Arbeit und Geduld, Kreativität und Fantasie wie das Verfassen eines richtigen Romans.
Auf der anderen Seite ist Zhan Dui kein bloßes Geschichtsbuch. A Lai ist kein Historiker und erhebt auch nicht den Anspruch, hier eine wissenschaftliche Abhandlung vorzulegen - auch wenn das authentische Material dafür durchaus taugen würde. Der Autor nutzt seine Fähigkeiten als Erzähler und erschafft eine Geschichte aus der Realität. Dabei kann er sich größere Freiheiten als ein Historiker leisten und so webt er offizielle Dokumente wie den Schriftverkehr zwischen hohen chinesischen Beamten in Sichuan und dem Kaiser zusammen mit Fundstücken aus lokalen Chroniken und anderen Quellen und bereichert unser Bild von den Vorgängen um Zhan Dui durch Volkserzählungen und Legenden - unabhängig davon, ob sie nun wahre Geschichten transportieren oder nicht.
Wer gerne historische Literatur liest und vielleicht schon einmal zu Werken über die Geschichte Chinas oder Tibets gegriffen hat, wird grundsätzlich mit Land und Kultur vertraut sein. Aber üblicherweise herrscht in solchen Bänden Eindeutigkeit: Es geht um ein festgelegtes Gebiet, es geht um China. Oder Tibet. Oder vielleicht Hainan. Auf jeden Fall ist die Zuordnung eindeutig.
Zhan Dui wie die ganze Geschichte Khams ist viel komplexer - und spannender.
Es geht um eine Grenzregion. Kham ist tibetisch geprägt, gehörte aber zur chinesischen Provinz Sichuan. Das Besondere an dieser Region ist also in mehrfacher Hinsicht ihr Doppelcharakter: Sie gehört sowohl zu Tibet wie zu China und sie ist gleichzeitig für beide Kulturräume an der Peripherie.
Das galt für Kultur und Sprache ebenso wie für die Verwaltung. Diese kulturell tibetischen Regionen Sichuans waren nicht in die normale Verwaltung eingebunden. Dies betraf nicht nur die tibetisch geprägten Regionen, sondern weite Teile der Provinzen in Chinas Südwesten. Weite Regionen in Provinzen wie Sichuan, Yunnan, Guizhou oder Guangxi gehörten zwar theoretisch seit Jahrhunderten zum chinesischen Kaiserreich, in der Praxis wussten die han-chinesischen Machthaber aber nur wenig über diese Gebiete und die Ethnien, die dort lebten. Sie waren weder militärisch noch verwaltungstechnisch zu kontrollieren, und somit führten die Vertreter der kaiserlichen Regierung ein System ein, das sich mit dem Prinzip des Indirect Rule vergleichen lässt, das besonders Großbritannien in vielen seiner Kolonien anwendete: Man versuchte gar nicht erst, die einzelnen Ethnien direkt unter Kontrolle zu bringen, sondern ernannte die Hauptleute zu Vertretern der Regierung, den Tusi. Das war eine höchst elegante Lösung: Erstens blieben die örtlichen Machtstrukturen unangetastet, aus Sicht der neuen Völker Chinas änderte sich wenig. Zweitens konnte sich die kaiserliche Verwaltung weismachen, eine befriedigende Lösung gefunden zu haben, ohne kostspielige Strukturen vor Ort, die ohnehin mit Waffengewalt hätten erzwungen werden müssen.
Das Tusi-System geht schon sehr weit in der chinesischen Geschichte zurück. Es hat seine Vorläufer im Jimi-System, das schon in der frühen Tang-Zeit eingerichtet worden ist. Der Begriff Jimi geht auf das Werk des chinesischen Historikers Sima Zhen zurück und bezeichnet einen Mann, der ein Pferd oder einen Ochsen an der Leine führt. So betrachteten die Tang-Kaiser auch die Anführer von fremden Völkern, die durch Eroberung oder Unterwerfung unter ihre Herrschaft gekommen waren. Für die Völker wurde das Jimi-System geschaffen, das parallel zur chinesischen Verwaltung bestand. Die unterste Stufe waren die Anführer oder Häuptlinge. Sie blieben einfach in ihrer alten Stellung, waren aber nun als besondere Beamte Untertanen der Tang. Sie waren eigenen Präfekten unterstellt. Auf Aufforderung hatten sie Dienste zu leisten, zum Beispiel mussten sie im Kriegsfall Truppen stellen, ansonsten blieben sie aber weitgehend unabhängig.
Das Jimi-System war das Vorbild für den Umgang Chinas mit Völkern in eroberten Gebieten oder den eigenen Grenzregionen bis in die Zeit der Qing-Dynastie. Es wurde in vielen Gebieten Chinas angewendet. In der Zeit der Tang findet sich das Jimi-System in vielen Regionen, beispielsweise in den Khanaten im Gebiet der heutigen Provinz Xinjiang, bis in das moderne Afghanistan hinein, aber auch in den mongolischen Gebieten Richtung Norden. Hier war das Jimi-System praktisch die einzige Verwaltungsform. Dagegen bestand es im Süden und Südwesten Chinas, auch in Sichuan, parallel zu der normalen zivilen Verwaltung.
Das Tusi, System, von dem wir so viel gehört haben, entstand unter der mongolischen Herrschaft, unter den Yuan-Dynastie. Es wurde unter den Ming und den Qing weitergeführt. Tusi bedeutet wörtlich einheimische Fürsten. Die Mongolen begannen dies System einzuführen, denn sie wollten nach der Eroberung Chinas auch die eroberten Grenzregionen schnell unter Kontrolle bringen. Die Ernennung der lokalen Anführer zu Beamten sorgte auf der einen Seite für die schnelle Einführung einer einheitlichen Verwaltung. Auf der anderen Seite wurden die Sitten und Gebräuche der betroffenen Gebiete nicht angetastet. Die Anführer blieben die gleichen und da der Titel des Tusi meistens erblich war, blieb auch die Folge der örtlichen Dynastien erhalten.
Die Ming-Dynastie übernahm dieses System gerne, war es doch auch eine Form, relativ einfach Gebiete nominell unter Kontrolle zu bringen und in die Verwaltung einzugliedern. Das machte es möglich, auch weiße Flecken auf der Karte als stabile Gebiete der eigenen Herrschaft auszuweisen. Viele Regionen, beispielsweise im Südwesten Chinas, waren den Han-Chinesen völlig unbekannt. Von vielen Völkern in den Bergregionen in Guizhou, Yunnan oder Sichuan wusste die kaiserliche Verwaltung praktisch nichts, nicht einmal ihre richtigen Namen. Mit der Ernennung ihrer Häuptlinge zu Tusi konnte die kaiserliche Regierung sich in der Gewissheit wiegen, die Angelegenheiten im eigenen Reich geordnet zu haben.
Doch unter den Qing geriet das System zunehmend ins Wanken: Zum einen gaben sich die Qing nicht damit zufrieden, große Gebiete ihres Reiches als weiße Flecken auf der Landkarte nur in der Theorie zu beherrschen. Das bedeutete auf der einen Seite das Sammeln von Informationen, so entstanden ganze Kataloge einzelner Ethnien in Chinas Südwesten, die in erster Linie unterschieden, ob diese Völker Chinas Kultur akzeptiert hatten oder gefährlich waren. Auf der anderen Seite bemühte sich die kaiserliche Verwaltung zunehmend um einen direkten Zugriff auf die Tusi-Gebiete und führte im Zweifelsfall auch Kriege, um Kontrolle und Ordnung (wieder) herzustellen. Dies resultierte noch unter der Regierung des Qianlong-Kaisers in einer Reihe von Kriegen, von denen auch in diesem Buch die Rede ist. Das Tusi-System geriet aber auch in die Krise, weil die traditionelle lokale Herrschaft sich als völlig unfähig erwies, sich politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Wandlungsprozessen anzupassen.
Die einfachen Leute, Dorfbewohner oder Bauern, waren das Objekt der Beteiligten in diesem Spiel. Das ist das eigentliche Thema dieses Buches. A Lai bringt uns die Situation der Menschen in der tibetisch geprägten Grenzregion Sichuans nahe. Er macht dem Lesepublikum deutlich, wie sie erst zwischen machthungrigen Tusi und der kaiserlichen Macht zerrieben wurden. Im 19. Jahrhundert wurden sie dann zum Spielball im Tauziehen zwischen China und Tibet. Der Autor streicht deutlich heraus, dass sich zwar alle, von den Tusi über die chinesische Provinzverwaltung bis zu den tibetischen Statthaltern, um die Macht über eine Region wie Zhan Dui stritten, sich aber letztendlich niemand darum scherte, etwas aufzubauen oder zu entwickeln. Erst einige reformorientierte Beamte der späten Qing versuchten sich daran, ein Stück Moderne, wirtschaftliche Prosperität oder Bildung, auch nach Zhan Dui zu bringen.
Die Übersetzung von A Lais Roman Zhan Dui war in mehrfacher Hinsicht eine komplexe Aufgabe. Dies betrifft nicht nur die üblichen Herausforderungen, einen Text von einer Sprache in die andere zu übertragen und dabei nicht nur den Inhalt, sondern auch den Stil und die Stimmung zu erhalten und getreu dem Original wiederzugeben. In diesem Fall kommen die Art der Texte und der historische Hintergrund hinzu.
Beginnen wir bei der Sprache: Ein chinesischer Text ist nicht wortwörtlich zu übersetzen. Dafür sind die Strukturen, ist die Grammatik beider Sprachen zu unterschiedlich. Ganz zu schweigen von Denk- oder Redefiguren, Metaphern, Sprichwörtern oder Vergleichen. Das heisst auch, eine Übersetzung aus dem Chinesischen ins Deutsche ist immer eher eine Übertragung. Dabei ist es nicht immer einfach, die Balance zu wahren. Es gibt Übersetzungen, die sich bemühen, möglichst nahe...
Inhaltsverzeichnis
Kapitel Eins
Auf den Weg von Sichuan nach Tibet hatte es einen Zwischenfall gegeben, der eigentlich wenig bemerkenswert war: Eine Gruppe von 36 Personen wurde von Räubern auf Tibetisch Jag-Rkun überfallen. Es war damals nicht ungewöhnlich, wenn eine Gruppe beim Durchqueren eines so abgelegenen Gebiets ausgeraubt oder sogar getötet wurde. Dieser Zwischenfall aber wurde sofort an den Generalgouverneur der Provinzen Sichuan und Shaanxi Qingfu gemeldet, der die Nachricht unverzüglich an den Qianlong-Kaiser weiterleitete. Dieser Überfall war etwas Besonderes: Die Opfer der Jag-Rkun waren kaiserliche Soldaten.
Ein kleiner Zwischenfall
Zhan Dui, die Vergangenheit
Die Vorbereitung des Krieges
Der Kaiser schickt Soldaten aus
Der große Marsch
Das Ende des Jahres 1746
Zwischenspiel: Tibetische Soldaten
Der Generalgouverneur verlässt den Pass
Die Ankunft des kaiserlichen Gesandten
Zhan Dui und Tibet
Der Sieg
Glossar
Auf den Weg von Sichuan nach Tibet hatte es einen Zwischenfall gegeben, der eigentlich wenig bemerkenswert war: Eine Gruppe von 36 Personen wurde von Räubern auf Tibetisch Jag-Rkun überfallen. Es war damals nicht ungewöhnlich, wenn eine Gruppe beim Durchqueren eines so abgelegenen Gebiets ausgeraubt oder sogar getötet wurde. Dieser Zwischenfall aber wurde sofort an den Generalgouverneur der Provinzen Sichuan und Shaanxi Qingfu gemeldet, der die Nachricht unverzüglich an den Qianlong-Kaiser weiterleitete. Dieser Überfall war etwas Besonderes: Die Opfer der Jag-Rkun waren kaiserliche Soldaten.
Ein kleiner Zwischenfall
Zhan Dui, die Vergangenheit
Die Vorbereitung des Krieges
Der Kaiser schickt Soldaten aus
Der große Marsch
Das Ende des Jahres 1746
Zwischenspiel: Tibetische Soldaten
Der Generalgouverneur verlässt den Pass
Die Ankunft des kaiserlichen Gesandten
Zhan Dui und Tibet
Der Sieg
Glossar
Details
Empfohlen (bis): | 99 |
---|---|
Empfohlen (von): | 16 |
Erscheinungsjahr: | 2021 |
Genre: | Romane & Erzählungen |
Rubrik: | Belletristik |
Medium: | Buch |
Inhalt: |
360 S.
10 schwarz-weiss Abbildungen |
ISBN-13: | 9783991140139 |
ISBN-10: | 3991140136 |
Sprache: | Deutsch |
Einband: | Gebunden |
Redaktion: | Jing, Wang |
Herausgeber: | Wang Jing |
Übersetzung: |
Meng, Beidi
Eberspächer, Cord |
Hersteller: |
BACOPA Verlag
Bacopa Handels- & Kulturges.m.b.H. |
Abbildungen: | 10 schwarz-weiss Abbildungen |
Maße: | 216 x 149 x 33 mm |
Von/Mit: | Wang Jing |
Erscheinungsdatum: | 09.11.2021 |
Gewicht: | 0,634 kg |
Inhaltsverzeichnis
Kapitel Eins
Auf den Weg von Sichuan nach Tibet hatte es einen Zwischenfall gegeben, der eigentlich wenig bemerkenswert war: Eine Gruppe von 36 Personen wurde von Räubern auf Tibetisch Jag-Rkun überfallen. Es war damals nicht ungewöhnlich, wenn eine Gruppe beim Durchqueren eines so abgelegenen Gebiets ausgeraubt oder sogar getötet wurde. Dieser Zwischenfall aber wurde sofort an den Generalgouverneur der Provinzen Sichuan und Shaanxi Qingfu gemeldet, der die Nachricht unverzüglich an den Qianlong-Kaiser weiterleitete. Dieser Überfall war etwas Besonderes: Die Opfer der Jag-Rkun waren kaiserliche Soldaten.
Ein kleiner Zwischenfall
Zhan Dui, die Vergangenheit
Die Vorbereitung des Krieges
Der Kaiser schickt Soldaten aus
Der große Marsch
Das Ende des Jahres 1746
Zwischenspiel: Tibetische Soldaten
Der Generalgouverneur verlässt den Pass
Die Ankunft des kaiserlichen Gesandten
Zhan Dui und Tibet
Der Sieg
Glossar
Auf den Weg von Sichuan nach Tibet hatte es einen Zwischenfall gegeben, der eigentlich wenig bemerkenswert war: Eine Gruppe von 36 Personen wurde von Räubern auf Tibetisch Jag-Rkun überfallen. Es war damals nicht ungewöhnlich, wenn eine Gruppe beim Durchqueren eines so abgelegenen Gebiets ausgeraubt oder sogar getötet wurde. Dieser Zwischenfall aber wurde sofort an den Generalgouverneur der Provinzen Sichuan und Shaanxi Qingfu gemeldet, der die Nachricht unverzüglich an den Qianlong-Kaiser weiterleitete. Dieser Überfall war etwas Besonderes: Die Opfer der Jag-Rkun waren kaiserliche Soldaten.
Ein kleiner Zwischenfall
Zhan Dui, die Vergangenheit
Die Vorbereitung des Krieges
Der Kaiser schickt Soldaten aus
Der große Marsch
Das Ende des Jahres 1746
Zwischenspiel: Tibetische Soldaten
Der Generalgouverneur verlässt den Pass
Die Ankunft des kaiserlichen Gesandten
Zhan Dui und Tibet
Der Sieg
Glossar
Details
Empfohlen (bis): | 99 |
---|---|
Empfohlen (von): | 16 |
Erscheinungsjahr: | 2021 |
Genre: | Romane & Erzählungen |
Rubrik: | Belletristik |
Medium: | Buch |
Inhalt: |
360 S.
10 schwarz-weiss Abbildungen |
ISBN-13: | 9783991140139 |
ISBN-10: | 3991140136 |
Sprache: | Deutsch |
Einband: | Gebunden |
Redaktion: | Jing, Wang |
Herausgeber: | Wang Jing |
Übersetzung: |
Meng, Beidi
Eberspächer, Cord |
Hersteller: |
BACOPA Verlag
Bacopa Handels- & Kulturges.m.b.H. |
Abbildungen: | 10 schwarz-weiss Abbildungen |
Maße: | 216 x 149 x 33 mm |
Von/Mit: | Wang Jing |
Erscheinungsdatum: | 09.11.2021 |
Gewicht: | 0,634 kg |
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