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Das Begehren, anders zu sein
Politische und kulturelle Dissidenz von 68 bis zum Scheitern der DDR
Taschenbuch von Anne Seeck
Sprache: Deutsch

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Beschreibung
Punks in der DDR Ein Interview mit Henryk Gericke (Autor des Filmes "too much future") Wann begann es mit der Punkbewegung in der DDR?Na ja, schlecht zu sagen, wann es konkret begann. "Bewegung" ist schwer zu sagen. Es waren nur ganz wenige. Die Legende besagt, dass die ersten Punks in Ostberlin so ´79 gesichtet wurden. Es war klar, dass es zeitversetzt zum Westen lief. Punks gesehen auf der Straße hat man so 1980.Wogegen lehnten sich die Punks auf?Ich will gar nicht sagen, dass man sich aufgelehnt hat. Man hat sich neu erfinden wollen. Es war Lust darauf, sich selbst von der Leine zu lassen, aus den ganzen DDR-Schemata auszubrechen. Aber das war am Anfang gar nicht mit einem konkreten politischen Inhalt gepaart. Wir waren 14, 15 Jahre, da denkt man noch nicht wirklich politisch. Da interessiert man sich für Popmusik, Rock, alles was die Alten nicht machen. Politisiert wurden wir dadurch, dass wir kriminalisiert wurden. Zum Anfang dachten die, wir wären aus dem Westen, weil die das aus Ostberlin gar nicht [...] gegen irgendwas aufgelehnt habt ihr euch doch auch!Gegen die Totalität des Staates, in dem wir leben mussten. Deshalb auch der Titel "Too much Future". Nicht wie im Westen mit zuwenig Zukunft konfrontiert zu sein. Mit 14 war klar, wie das Leben aussehen wird. Eigentlich schon von der Geburt an. Spätestens als man sich zur Lehre bewerben musste war klar, dass man 30, 40 Jahre an derselben Werkbank oder im selben Büro verbringt. Vorher zur NVA geht. Dass man in der FDJ ist, vorher die Pionierlaufbahn durchmacht. Und mit 65 wahrscheinlich zum ersten Mal zum Beispiel nach Irland fahren kann, wenn man sich für so`n Land interessiert. Da entsteht eine Riesenangst, gerade bei diesen vielen gerühmten sozialen Errungenschaften. Die haben die meiste Angst bereitet, die waren ein [...] war die DDR-Spezifik des Ostpunks?Am Anfang ist es gelaufen wie im Westen. Da ging es darum, sich zu inszenieren, als andere Jugendliche. Man wollte in der DDR flüchtig sein, man wollte nicht mehr zu diesem peinlichen System zählen. Dafür hat man äußeren Ausdruck gesucht, Punk war da natürlich das Gebot der Stunde. Sich abzusetzen von dieser beschissenen Jugendmode, diesem traurigen DDR-Style. Spezifisch war, dass man ausscheren wollte aus einem vorgeschriebenen Lebensweg, der Etappen vorgesehen hat. Wo dir alte Männer und wahrscheinlich alte Frauen vorschreiben, wie du dein Leben zu leben hast. Das war eine erhebliche Einschränkung. Wir hätten zum Beispiel gern Georg Orwell in der Buchhandlung gekauft, wir wären gern auf die Kings Road nach London gefahren oder ins Clash-Konzert in Westberlin. Wir wären gern in die USA gereist. Wir hätten auch gern Punk-Platten, die wir bei John Peel gehört haben, gekauft. Das sind die Dinger, die junge Menschen interessiert. Das war ein Verbotsstaat. Wer hat als junger Mensch schon Bock auf Verbote. Man hat Bock, Verbote zu [...] wurden die Punks von der Staatsmacht behandelt? Wie waren die Repressionsmethoden? Die erste Punkbewegung war noch keine Bewegung. Zur Bewegung wurde es erst ´84. Die ersten Punks in Ostberlin waren knapp 50 Leute, da kann man nicht von Bewegung reden. Bevor man zur Repression kommt, muss man erst mal sagen. Es war ein unglaublicher Befreiungsschlag, der einen geprägt hat. Was ich bis heute als großes Glück empfinde, mit aller Bitternis, dass man vom Staat verfolgt wurde, aber auch, dass die Szene selbst sehr gewalttätig war. Man ist nicht unbedingt auf Gleichgesinnte getroffen, man musste sich in dieser Szene behaupten. Es war mit der Zeit auch eine sehr hierarchische Angelegenheit. Ab 1981/82 begriff die Staatssicherheit, dass wir nicht aus dem Westen kamen und ging dann massiv dagegen vor. Zuerst hatte man mit den ganz normalen Bullen zu tun, Abschnittsbevollmächtigten, dann erst trat die Staatssicherheit in Erscheinung. Die Polizei sind durch die Straßen patrouilliert und haben die Ausweise kontrolliert und haben einen mitgenommen. Ich bin mehrfach in Polizeirevieren gelandet. Dann war man auch mit der Staatssicherheit konfrontiert. Die haben gefragt: Weshalb, warum, wieso? Es war schwierig, sich als 16-Jähriger gegen solche Leute zu behaupten. Die geschult waren, die Druckmittel hatten. Da musste man allen Trotz aufbieten. Wir haben zum Beispiel nie Protokolle unterschrieben. Da wurde natürlich [...] war das mit Inhaftierungen? Es gab ja ein Asozialengesetz, politische [...] beliebteste Paragraf war Öffentliche Herabwürdigung. Es gab Zusammenrottung, es gab den Asozialenparagrafen, mit denen sie nach Belieben operieren und Leute einbuchten konnten. Und es gab ja auch Auflagen. Das außerdem. Das fing an beim Kettenkarussellverbot im Plänterwald. Das hatte damit zu tun, dass wir uns im Plänterwald getroffen haben, weil wir per se alle Innenstadtverbot hatten, dass die Touristen uns nicht sehen. Es gab zum Beispiel Alexanderplatz-Verbot. Es gab Berlin-Verbot. Das war die Steigerungsform. Leute, die sich an die Verbote nicht gehalten haben, hatten mit Konsequenzen zu rechnen. Am gefürchtesten war die sogenannte Arbeitsplatzbindung. Das bedeutete, dass man als Punk in irgendein Dorf verfrachtet wurde, zur Untermiete wohnte und früh um vier Uhr aufstehen und den Schweinestall ausmisten musste. Das grenzte – Vorsicht bei dem Wort – an Deportation. Eigentlich undenkbar. Da hatte man natürlich Ärger mit den Dorfbullen. Viele sind deshalb nach Berlin zurückgegangen. Haben sich illegal bewegt, wurden aufgegriffen und inhaftiert. Es wurden aber auch Punks erpresst, dass sie IM geworden sind. Die Möglichkeiten, die Leute in die eigenen Reihen zu zwingen, die waren genauso vielfältig, wie es Menschen gibt. Es gab natürlich auch Leute. Ich kenne einen Fall von jemandem, der ist zur Polizei gegangen und hat versucht zu erklären: Wir sind nicht gegen den Staat, wir wollen nur unsere Musik hören und Konzerte machen. Die sagten, ist ja interessant, erzählen Sie mal. Da hat er erzählt und ist reingewachsen in die Realität und hat jahrelang für die Kripo spioniert. Er wurde zu einem der übelsten Spitzel in Ostberlin, hat nicht nur die Punks ans Messer geliefert, sondern war auch in der Hooligan-Szene vom BFC zugegen. Auch Leute, die Devisenschmuggel begangen haben. Er war wirklich auf der ganzen Front, wurde zum Spitzel. Hat dann im Juli 1989 noch die IM-Verpflichtung unterschrieben. Er hat von mir auch einen Freund in den Knast gebracht, der fliehen wollte mit einer Schleusertruppe und sich ihm anvertraut hatte. Der Junge ist ein Jahr mit 18 Jahren in den Knast gegangen. Es gab andere Leute, die Angst hatten. Wo zum Beispiel gesagt wurde, wenn du nicht mitziehst, verknacken wir deine Freundin, die hat das und das auf dem Kerbholz. Es gab Leute, die haben aus Naivität unterschrieben. Die können mich mal, ich unterschreib es einfach und mach dann, was ich will. Die wurden dann nach einem Jahr wieder ausgetragen. Die sind zu den Terminen nicht erschienen oder haben Scheiße angestellt und keinen vernünftigen Beitrag geleistet. Der Strauß an Möglichkeiten war sehr bunt. Bisher haben wir über die Staatsmacht geredet. Was haben Punks mit der DDR-Normalgesellschaft erlebt?Am Anfang war es sehr interessant. Am Anfang hatten die Punks einen krassen Style. Gar nicht die Punkcodes-Springerstiefel, schwarze Lederjacke. Wir sind rumgerannt mit zerfetzten Jackets, angekokelten Krawatten, hatten uns aus "Bravo" Bilder selbst zusammengebastelt, kettenbehängt und mit Sicherheitsnadeln überschwemmt. Ich saß mit einem Freund in der U-Bahn, der genauso aussah und die Leute haben uns applaudiert. Weil natürlich, die haben begriffen, das ist irgendwas Neues, Schrilles, was diese Tristesse, dieses Grau der DDR um Farben bereichert. Das ging schnell vorbei, zwei, drei Monate und dann war man Freiwild. Es gab keine wirklichen Gruppierungen, man war immer allein oder zu zweit unterwegs. Wie oft wir gejagt wurden, wie oft wir gerannt sind, wie oft wir auf die Schnauze bekommen haben. Wir waren Kinder. Wir hatten keine Chance. Das hat sich erst geändert, als wir in größeren Gruppen auftraten, zu zehnt, zu zwanzig. Da hat sich das Blatt gewendet. Wenn uns da einer blöde kam, dann hat er mächtig Ärger bekommen. Es gab Leute, die haben nicht lange gefackelt, da hat ein Blick gereicht. Mit den sogenannten Normalbürgern gab es eine Menge Ärger. Eine Menge Gewalt.Soweit zu den Normalbürgern. Und wie sah es mit Kontakten zur Opposition aus?Natürlich gab es Kontakte zur Opposition. Ein Großteil der Punkaktivitäten hat sich in Kirchenräumen zugetragen. Die Kirche war ein exterritoriales Gebiet, auf dass sich die Stasi nur verdeckt wagte. Da gab es keine Zuführungen, Verhaftungen. Die evangelischen Kirchen haben die Tür aufgemacht, nicht nur für Punks, auch für Kunden, Freaks, Hippies. Alle Leute, die akut gefährdet waren. Die Punks waren die dominanteste Gruppierung, haben alle anderen Leute verdrängt, durch ihre Lebensfreude. Das war eine ganz wichtige Geschichte. Erlöserkirche, Pfingstkirche, Elisabethkirche. Wenn da Punkkonzerte stattgefunden haben, war da was los. Da konnte man sich in Altarnähe sicher fühlen. In dem Moment, in dem wir die Kirche verlassen haben, waren wir Freiwild. Nach Konzerten, wo die Stasi vor der Kirche stand und sofort auf uns losgegangen ist. Aber innerhalb der Kirche war natürlich die Oppositionsbewegung sehr stark und man hat natürlich zu diesen Leuten auch sehr schnell Kontakt gefunden. Wir sind dann zu Veranstaltungen gegangen. Und haben uns, wenn wir politisch interessiert waren, das waren viele, auch engagiert. Die Umweltbibliothek, die in der Zionsgemeinde am Zionskirchplatz lag, war kein regelrechter Treffpunkt für Punks. Aber bei größeren Ereignissen, illegalen Demos, die aufgelöst wurden, wo Leute in den Knast kamen, wo man sich getroffen hat zu beraten, waren immer Punks mit an Bord. Die gehörten zum Bild der Oppositionsszene. Dazu kommt noch eine andere Geschichte. Viele Künstler haben sich, ich will nicht sagen geschmückt, aber haben natürlich die Energie aufgenommen. Es gab...
Punks in der DDR Ein Interview mit Henryk Gericke (Autor des Filmes "too much future") Wann begann es mit der Punkbewegung in der DDR?Na ja, schlecht zu sagen, wann es konkret begann. "Bewegung" ist schwer zu sagen. Es waren nur ganz wenige. Die Legende besagt, dass die ersten Punks in Ostberlin so ´79 gesichtet wurden. Es war klar, dass es zeitversetzt zum Westen lief. Punks gesehen auf der Straße hat man so 1980.Wogegen lehnten sich die Punks auf?Ich will gar nicht sagen, dass man sich aufgelehnt hat. Man hat sich neu erfinden wollen. Es war Lust darauf, sich selbst von der Leine zu lassen, aus den ganzen DDR-Schemata auszubrechen. Aber das war am Anfang gar nicht mit einem konkreten politischen Inhalt gepaart. Wir waren 14, 15 Jahre, da denkt man noch nicht wirklich politisch. Da interessiert man sich für Popmusik, Rock, alles was die Alten nicht machen. Politisiert wurden wir dadurch, dass wir kriminalisiert wurden. Zum Anfang dachten die, wir wären aus dem Westen, weil die das aus Ostberlin gar nicht [...] gegen irgendwas aufgelehnt habt ihr euch doch auch!Gegen die Totalität des Staates, in dem wir leben mussten. Deshalb auch der Titel "Too much Future". Nicht wie im Westen mit zuwenig Zukunft konfrontiert zu sein. Mit 14 war klar, wie das Leben aussehen wird. Eigentlich schon von der Geburt an. Spätestens als man sich zur Lehre bewerben musste war klar, dass man 30, 40 Jahre an derselben Werkbank oder im selben Büro verbringt. Vorher zur NVA geht. Dass man in der FDJ ist, vorher die Pionierlaufbahn durchmacht. Und mit 65 wahrscheinlich zum ersten Mal zum Beispiel nach Irland fahren kann, wenn man sich für so`n Land interessiert. Da entsteht eine Riesenangst, gerade bei diesen vielen gerühmten sozialen Errungenschaften. Die haben die meiste Angst bereitet, die waren ein [...] war die DDR-Spezifik des Ostpunks?Am Anfang ist es gelaufen wie im Westen. Da ging es darum, sich zu inszenieren, als andere Jugendliche. Man wollte in der DDR flüchtig sein, man wollte nicht mehr zu diesem peinlichen System zählen. Dafür hat man äußeren Ausdruck gesucht, Punk war da natürlich das Gebot der Stunde. Sich abzusetzen von dieser beschissenen Jugendmode, diesem traurigen DDR-Style. Spezifisch war, dass man ausscheren wollte aus einem vorgeschriebenen Lebensweg, der Etappen vorgesehen hat. Wo dir alte Männer und wahrscheinlich alte Frauen vorschreiben, wie du dein Leben zu leben hast. Das war eine erhebliche Einschränkung. Wir hätten zum Beispiel gern Georg Orwell in der Buchhandlung gekauft, wir wären gern auf die Kings Road nach London gefahren oder ins Clash-Konzert in Westberlin. Wir wären gern in die USA gereist. Wir hätten auch gern Punk-Platten, die wir bei John Peel gehört haben, gekauft. Das sind die Dinger, die junge Menschen interessiert. Das war ein Verbotsstaat. Wer hat als junger Mensch schon Bock auf Verbote. Man hat Bock, Verbote zu [...] wurden die Punks von der Staatsmacht behandelt? Wie waren die Repressionsmethoden? Die erste Punkbewegung war noch keine Bewegung. Zur Bewegung wurde es erst ´84. Die ersten Punks in Ostberlin waren knapp 50 Leute, da kann man nicht von Bewegung reden. Bevor man zur Repression kommt, muss man erst mal sagen. Es war ein unglaublicher Befreiungsschlag, der einen geprägt hat. Was ich bis heute als großes Glück empfinde, mit aller Bitternis, dass man vom Staat verfolgt wurde, aber auch, dass die Szene selbst sehr gewalttätig war. Man ist nicht unbedingt auf Gleichgesinnte getroffen, man musste sich in dieser Szene behaupten. Es war mit der Zeit auch eine sehr hierarchische Angelegenheit. Ab 1981/82 begriff die Staatssicherheit, dass wir nicht aus dem Westen kamen und ging dann massiv dagegen vor. Zuerst hatte man mit den ganz normalen Bullen zu tun, Abschnittsbevollmächtigten, dann erst trat die Staatssicherheit in Erscheinung. Die Polizei sind durch die Straßen patrouilliert und haben die Ausweise kontrolliert und haben einen mitgenommen. Ich bin mehrfach in Polizeirevieren gelandet. Dann war man auch mit der Staatssicherheit konfrontiert. Die haben gefragt: Weshalb, warum, wieso? Es war schwierig, sich als 16-Jähriger gegen solche Leute zu behaupten. Die geschult waren, die Druckmittel hatten. Da musste man allen Trotz aufbieten. Wir haben zum Beispiel nie Protokolle unterschrieben. Da wurde natürlich [...] war das mit Inhaftierungen? Es gab ja ein Asozialengesetz, politische [...] beliebteste Paragraf war Öffentliche Herabwürdigung. Es gab Zusammenrottung, es gab den Asozialenparagrafen, mit denen sie nach Belieben operieren und Leute einbuchten konnten. Und es gab ja auch Auflagen. Das außerdem. Das fing an beim Kettenkarussellverbot im Plänterwald. Das hatte damit zu tun, dass wir uns im Plänterwald getroffen haben, weil wir per se alle Innenstadtverbot hatten, dass die Touristen uns nicht sehen. Es gab zum Beispiel Alexanderplatz-Verbot. Es gab Berlin-Verbot. Das war die Steigerungsform. Leute, die sich an die Verbote nicht gehalten haben, hatten mit Konsequenzen zu rechnen. Am gefürchtesten war die sogenannte Arbeitsplatzbindung. Das bedeutete, dass man als Punk in irgendein Dorf verfrachtet wurde, zur Untermiete wohnte und früh um vier Uhr aufstehen und den Schweinestall ausmisten musste. Das grenzte – Vorsicht bei dem Wort – an Deportation. Eigentlich undenkbar. Da hatte man natürlich Ärger mit den Dorfbullen. Viele sind deshalb nach Berlin zurückgegangen. Haben sich illegal bewegt, wurden aufgegriffen und inhaftiert. Es wurden aber auch Punks erpresst, dass sie IM geworden sind. Die Möglichkeiten, die Leute in die eigenen Reihen zu zwingen, die waren genauso vielfältig, wie es Menschen gibt. Es gab natürlich auch Leute. Ich kenne einen Fall von jemandem, der ist zur Polizei gegangen und hat versucht zu erklären: Wir sind nicht gegen den Staat, wir wollen nur unsere Musik hören und Konzerte machen. Die sagten, ist ja interessant, erzählen Sie mal. Da hat er erzählt und ist reingewachsen in die Realität und hat jahrelang für die Kripo spioniert. Er wurde zu einem der übelsten Spitzel in Ostberlin, hat nicht nur die Punks ans Messer geliefert, sondern war auch in der Hooligan-Szene vom BFC zugegen. Auch Leute, die Devisenschmuggel begangen haben. Er war wirklich auf der ganzen Front, wurde zum Spitzel. Hat dann im Juli 1989 noch die IM-Verpflichtung unterschrieben. Er hat von mir auch einen Freund in den Knast gebracht, der fliehen wollte mit einer Schleusertruppe und sich ihm anvertraut hatte. Der Junge ist ein Jahr mit 18 Jahren in den Knast gegangen. Es gab andere Leute, die Angst hatten. Wo zum Beispiel gesagt wurde, wenn du nicht mitziehst, verknacken wir deine Freundin, die hat das und das auf dem Kerbholz. Es gab Leute, die haben aus Naivität unterschrieben. Die können mich mal, ich unterschreib es einfach und mach dann, was ich will. Die wurden dann nach einem Jahr wieder ausgetragen. Die sind zu den Terminen nicht erschienen oder haben Scheiße angestellt und keinen vernünftigen Beitrag geleistet. Der Strauß an Möglichkeiten war sehr bunt. Bisher haben wir über die Staatsmacht geredet. Was haben Punks mit der DDR-Normalgesellschaft erlebt?Am Anfang war es sehr interessant. Am Anfang hatten die Punks einen krassen Style. Gar nicht die Punkcodes-Springerstiefel, schwarze Lederjacke. Wir sind rumgerannt mit zerfetzten Jackets, angekokelten Krawatten, hatten uns aus "Bravo" Bilder selbst zusammengebastelt, kettenbehängt und mit Sicherheitsnadeln überschwemmt. Ich saß mit einem Freund in der U-Bahn, der genauso aussah und die Leute haben uns applaudiert. Weil natürlich, die haben begriffen, das ist irgendwas Neues, Schrilles, was diese Tristesse, dieses Grau der DDR um Farben bereichert. Das ging schnell vorbei, zwei, drei Monate und dann war man Freiwild. Es gab keine wirklichen Gruppierungen, man war immer allein oder zu zweit unterwegs. Wie oft wir gejagt wurden, wie oft wir gerannt sind, wie oft wir auf die Schnauze bekommen haben. Wir waren Kinder. Wir hatten keine Chance. Das hat sich erst geändert, als wir in größeren Gruppen auftraten, zu zehnt, zu zwanzig. Da hat sich das Blatt gewendet. Wenn uns da einer blöde kam, dann hat er mächtig Ärger bekommen. Es gab Leute, die haben nicht lange gefackelt, da hat ein Blick gereicht. Mit den sogenannten Normalbürgern gab es eine Menge Ärger. Eine Menge Gewalt.Soweit zu den Normalbürgern. Und wie sah es mit Kontakten zur Opposition aus?Natürlich gab es Kontakte zur Opposition. Ein Großteil der Punkaktivitäten hat sich in Kirchenräumen zugetragen. Die Kirche war ein exterritoriales Gebiet, auf dass sich die Stasi nur verdeckt wagte. Da gab es keine Zuführungen, Verhaftungen. Die evangelischen Kirchen haben die Tür aufgemacht, nicht nur für Punks, auch für Kunden, Freaks, Hippies. Alle Leute, die akut gefährdet waren. Die Punks waren die dominanteste Gruppierung, haben alle anderen Leute verdrängt, durch ihre Lebensfreude. Das war eine ganz wichtige Geschichte. Erlöserkirche, Pfingstkirche, Elisabethkirche. Wenn da Punkkonzerte stattgefunden haben, war da was los. Da konnte man sich in Altarnähe sicher fühlen. In dem Moment, in dem wir die Kirche verlassen haben, waren wir Freiwild. Nach Konzerten, wo die Stasi vor der Kirche stand und sofort auf uns losgegangen ist. Aber innerhalb der Kirche war natürlich die Oppositionsbewegung sehr stark und man hat natürlich zu diesen Leuten auch sehr schnell Kontakt gefunden. Wir sind dann zu Veranstaltungen gegangen. Und haben uns, wenn wir politisch interessiert waren, das waren viele, auch engagiert. Die Umweltbibliothek, die in der Zionsgemeinde am Zionskirchplatz lag, war kein regelrechter Treffpunkt für Punks. Aber bei größeren Ereignissen, illegalen Demos, die aufgelöst wurden, wo Leute in den Knast kamen, wo man sich getroffen hat zu beraten, waren immer Punks mit an Bord. Die gehörten zum Bild der Oppositionsszene. Dazu kommt noch eine andere Geschichte. Viele Künstler haben sich, ich will nicht sagen geschmückt, aber haben natürlich die Energie aufgenommen. Es gab...
Details
Erscheinungsjahr: 2012
Medium: Taschenbuch
Inhalt: 304 S.
ISBN-13: 9783897715301
ISBN-10: 3897715309
Sprache: Deutsch
Einband: Kartoniert / Broschiert
Autor: Seeck, Anne
Redaktion: Anne Seeck
Herausgeber: Anne Seeck
unrast verlag: Unrast Verlag
Maße: 212 x 145 x 22 mm
Von/Mit: Anne Seeck
Erscheinungsdatum: 15.10.2012
Gewicht: 0,336 kg
Artikel-ID: 106298890
Details
Erscheinungsjahr: 2012
Medium: Taschenbuch
Inhalt: 304 S.
ISBN-13: 9783897715301
ISBN-10: 3897715309
Sprache: Deutsch
Einband: Kartoniert / Broschiert
Autor: Seeck, Anne
Redaktion: Anne Seeck
Herausgeber: Anne Seeck
unrast verlag: Unrast Verlag
Maße: 212 x 145 x 22 mm
Von/Mit: Anne Seeck
Erscheinungsdatum: 15.10.2012
Gewicht: 0,336 kg
Artikel-ID: 106298890
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